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Fortunas Tochter

Fortunas Tochter

Titel: Fortunas Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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des Jungen.
    »Zieh dein Hemd aus, ich muß dir ein paar Rutenschläge geben, vielleicht verstehst du dann endlich, Sohn. Wie oft habe ich dir gesagt, die schlimmsten Übel Chinas sind das Spiel und das Bordell? Im Spiel verlieren die Männer das Ergebnis ihrer Arbeit, und im Bordell verlieren sie Gesundheit und Leben. Mit diesen Lastern wirst du weder ein guter Arzt noch ein guter Dichter werden.«
    Tao Chi’en war sechzehn Jahre alt, als 1839 der Opiumkrieg zwischen China und Großbritannien ausbrach. Zu jener Zeit war das Land von Bettlern überschwemmt.
    In Massen verließen die Menschen die allzu kargen Felder und erschienen mit ihren Lumpen und ihren Pusteln in den Städten, aus denen sie gewaltsam vertrieben wurden, worauf sie wie Rudel hungriger Hunde über die Straßen des Kaiserreiches irrten. Räuberbanden und Aufständische kämpften gegen die Regierungstruppen in einem nie endenden Heckenschützenkrieg. Es war eine Zeit der Zerstörung und der Plünderungen. Die geschwächten kaiserlichen Truppen, die unter der Führung korrupter Offiziere standen und aus Peking widersprüchliche Befehle bekamen, konnten der mächtigen, disziplinierten englischen Flotte keinen Widerstand entgegensetzen. Mit der Unterstützung durch die Bevölkerung war nicht zu rechnen, denn die Bauern hatten es satt, ihre Saaten vernichtet, ihre Dörfer in Flammen und ihre Töchter von der Soldateska vergewaltigt zu sehen. Nach fast vier Jahren Krieg mußte China eine demütigende Niederlage hinnehmen und den Gegenwert von einundzwanzig Millionen Dollar an die Sieger bezahlen, ihnen Hongkong überlassen und ihnen das Recht einräumen, »Kon– zessionen« einzurichten - Wohnviertel, die durch extra– territoriale Gesetze geschützt waren. Hier wohnten die Ausländer mit ihrer Polizei, ihren Dienststellen, ihrer Verwaltung und ihren Gesetzen, geschützt von ihren eigenen Truppen; es waren richtige fremde Nationen auf dem chinesischen Territorium, von denen aus die Europäer den Handel kontrollierten, vor allem den Opiumhandel. In Kanton zogen sie erst fünf Jahre später ein, aber Tao Chi’ens Lehrmeister, der die entwürdigende Niederlage seines verehrten Kaisers miterlebt hatte und mit ansehen mußte, wie Wirtschaft und Moral seines Vaterlandes zusammenbrachen, entschied, daß es keinen Grund für ihn gab weiterzuleben.
    In den Kriegsjahren hatte der Geist des alten zhong yi Schaden gelitten, zudem hatte er die heitere Gelassenheit verloren, die er im Laufe seines Lebens mühsam genug erlangt hatte. Seine Zerfahrenheit und Zerstreutheit, was materielle Dinge anging, verschlimmerten sich so sehr, daß Tao Chi’en ihn füttern mußte, wenn er tagelang nichts gegessen hatte. Seine Abrechnungen gerieten völlig durcheinander, und die Gläubiger klopften schon an die Tür, aber er schenkte ihnen keine sonderliche Beachtung, denn alles, was mit Geld zu tun hatte, schien ihm eine schändliche Belastung, von der Weise ihrer Natur nach befreit waren. In der senilen Verwirrung dieser letzten Jahre vergaß er seine Absichten, seinen Schüler zu adoptieren und ihm eine Frau zu kaufen; tatsächlich war sein Sinn so getrübt, daß er Tao Chi’en häufig fassungslos ansah, weil er sich weder an seinen Namen erinnern konnte noch wußte, wo er ihn unterbringen sollte in dem Labyrinth von Gesichtern und Geschehnissen, die seine geschwächte Erinnerung so ungeordnet wie zusammen– hanglos bedrängten. Aber sein Verstand genügte ihm doch, um die Einzelheiten seiner Bestattung festzulegen, denn für einen vornehmen Chinesen war sein eigenes Leichenbegängnis das wichtigste Ereignis seines Lebens. Der Gedanke, mit Hilfe eines eleganten Todes seiner Mutlosigkeit ein Ende zu machen, beschäftigte ihn schon seit langem, aber er hatte bis zum Ende des Krieges gewartet in der heimlichen, irrationalen Hoffnung, die Heere des Himmlischen Kaiserreiches triumphieren zu sehen. Der Dünkel der Fremden war ihm unerträglich, er empfand tiefe Verachtung für diese brutalen fan gui, weiße Phantome, die sich nicht wuschen, Milch und Alkohol tranken, die Grundregeln der guten Erziehung nicht kannten und unfähig waren, ihre Vorfahren in gebührender Form zu ehren. Die Handelsvereinbarungen hielt er für eine diesen unverschämten Barbaren vom Kaiser gewährte Gunst, aber anstatt sich lobpreisend und dankbar tief zu verneigen, forderten sie immer noch mehr. Die Unterzeichnung des Friedensvertrages von Nanking war der letzte Schlag für den zhong yi. Der Kaiser und

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