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Fortunas Tochter

Fortunas Tochter

Titel: Fortunas Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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sich nun im Besitz unerwarteter Mittel. Wenn er sich dieses Geld aneignete, konnte das den Kopf kosten, denn es wäre das Verbrechen eines Untergebenen an einem Höherstehenden, aber er war sicher, daß niemand es erfahren würde außer dem Geist des Verstorbenen, und der würde sein Handeln zweifellos billigen. Würde er nicht lieber seinen treuen Diener und Schüler belohnen, statt eine der zahlreichen Schulden an seine grausamen Gläubiger zu bezahlen? Mit diesem bescheidenen Schatz im Beutel und einem Satz sauberer Wäsche zum Wechseln machte Tao Chi’en sich davon, fort aus der Stadt. Flüchtig kam ihm der Gedanke, in sein Heimatdorf zurück– zukehren, aber er verwarf ihn sofort wieder. Für seine Familie würde er immer Vierter Sohn sein und seinen älteren Brüdern Unterwerfung und Gehorsam schulden. Er würde für sie arbeiten müssen, die Frau annehmen, die sie für ihn aussuchten, und sich ins Elend ergeben. Nichts zog ihn in diese Gegend, nicht einmal die seinem Vater und seinen Vorfahren geschuldete Sohnespflicht. Er mußte weit fortgehen, so weit, daß ihn der lange Arm der chinesischen Justiz nicht mehr erreichen konnte. Er war zwanzig Jahre alt, eines fehlte ihm, um die zehn Dienst– jahre zu vollenden, und jeder der Gläubiger konnte sich auf das Recht berufen, ihn für dieses eine Jahr als Sklaven zu verwenden.

Tao Chi’en
    Tao Chi’en nahm einen Sampan nach Hongkong, um sein neues Leben zu beginnen. Nun war er ein zhong yi, in der traditionellen chinesischen Medizin geschult von dem besten Meister Kantons. Er schuldete den Geistern seiner verehrten Ahnen ewigen Dank, daß sie sein Karma so ruhmvoll gelenkt hatten. Das erste, entschied er, war, eine Frau zu finden, denn er war schon weit im heiratsfähigen Alter, und die Enthaltsamkeit drückte ihn gehörig. Die fehlende Ehefrau war ein eindeutiges Zeichen für Armut. Er hegte den sehnlichen Wunsch, ein liebliches junges Mädchen mit schönen Füßen zu erwerben. Ihre goldenen Lilien durften nicht mehr als drei, vier Daumenbreit in der Länge messen und mußten rundlich und zart anzufühlen sein wie bei einem wenige Monate alten Kind. Ihn begeisterte der Gang einer jungen Frau auf ihren winzigen Füßen, die sehr kurzen, schwankenden Schritte, als wäre sie ständig im Begriff, zu fallen, die Hüften, nach hinten geschoben, die sich wiegten wie die Binsen am Rand des Teiches im Garten seines Meisters. Er haßte die großen, muskulösen, kalten Füße, wie sie die Bäuerinnen hatten. Im Dorf hatte er von weitem ein paar Mädchen mit verbundenen Füßen gesehen, der Stolz ihrer Familien, die sie sicherlich gut verheiraten würden, aber erst als er in Kanton mit den Prostituierten in Berührung kam, hatte er ein Paar jener goldenen Lilien in den Händen gehalten und war in Entzücken geraten über die kleinen bestickten Pantöffelchen, die sie immer bedeckten, denn die verkrüppelten Knochen sonderten jahrelang eine übelriechende Substanz ab. Seit er sie berührt hatte, begriff er, daß ihre Eleganz die Frucht ständiger Schmerzen war, und das machte sie um so kostbarer. Danach wußte er die den weiblichen Füßen gewidmeten Bücher gebührend zu würdigen, die sein Meister sammelte und in denen fünf Klassen und achtzehn verschiedene Stile von goldenen Lilien aufgeführt wurden. Seine Frau mußte auch sehr jung sein, denn Schönheit ist von kurzer Dauer, sie beginnt etwa im zwölften Lebensjahr und endet kurz nach dem zwanzigsten. So hatte sein Meister erklärt. Es hatte schon seinen Grund, daß die gefeiertsten Heldinnen der chinesischen Literatur immer genau zur Zeit ihres größten Liebreizes starben; glücklich jene, die dahin– gingen, bevor sie sich vom Alter zerstört sehen mußten, und so in voller Jugendfrische in Erinnerung blieben. Außerdem gab es praktische Gründe, eine ganz Junge zu heiraten: sie würde ihm Söhne schenken und es würde leicht sein, ihren Charakter zu zähmen, um sie wirklich gehorsam zu machen. Nichts ist so unangenehm wie eine keifende Frau, er hatte welche gesehen, die vor ihrem Mann und ihren Söhnen ausspuckten und ihnen kräftige Ohrfeigen verpaßten, und das sogar auf der Straße vor den Nachbarn. Ein solcher von den Händen einer Frau zugefügter Schimpf war die schlimmste Entehrung für einen Mann. Auf dem Sampan, der ihn langsam die neunzig Seemeilen von Kanton nach Hongkong trug und ihn jede Minute mehr von seinem vergangenen Leben entfernte, träumte Tao Chi’en von dem schönen Mädchen und von der

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