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Fortunas Tochter

Fortunas Tochter

Titel: Fortunas Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Tod in sich trugen.
    »Die Krankheiten der Bordelle töten mehr Menschen als das Opium und der Typhus. Aber wenn du deine Pflichten erfüllst und gleichzeitig gut lernst, werde ich dir, wenn es soweit ist, ein jungfräuliches Mädchen kaufen«, versprach ihm der Meister.
    Tao Chi’en hatte als Kind gehungert, aber sein Körper streckte sich, bis er größer war als irgendein anderes Mitglied seiner Familie. Mit vierzehn reizten ihn die käuflichen Mädchen nicht, sie erregten nur seine wissen– schaftliche Neugier. Sie waren so verschieden von dem, was er kannte, lebten in einer so sonderbaren, geheimen Welt, daß er sie nicht als wirklich menschlich ansehen konnte. Später, als der plötzliche Ansturm der Natur ihn aus dem Gleichgewicht warf und er wie ein Betrunkener gegen seinen eigenen Schatten stolperte, beklagte es sein Lehrmeister, daß er sich von seinen Konkubinen getrennt hatte. Nichts zog einen guten Schüler so von seinen Pflichten ab wie der Ausbruch der Manneskraft. Eine Frau würde ihn beruhigen und ihm dazu noch praktische Kenntnisse beibringen, aber da der Gedanke, ihm eine zu kaufen, doch recht viel Lästiges mit sich brachte - es lebte sich so bequem in seinem ausschließlich männlichen Universum -, nötigte er Tao Tränke auf, die die Glut besänftigen sollten. Der zhong yi unterschätzte den längst vergessenen Orkan, den die fleischlichen Leidenschaften entfachen konnten, und gab seinem Schüler als theoretischen Teil der Erziehung die Kopfkissenbücher aus seiner Bibliothek zu lesen, ohne die erregende Wirkung abzuwägen, die sie auf den armen Jungen haben würden. Er ließ ihn jede einzelne der zweihundertzweiundzwanzig Stellungen der Liebe bei ihren poetischen Namen brav auswendig lernen, und er mußte sie ohne Zögern in den erlesenen Illustrationen der Bücher erkennen, was beträchtlich zur Zerstreuung des Jungen beitrug.
    Tao Chi’en war mit Kanton schon so vertraut, wie er früher sein kleines Dorf gekannt hatte. Ihm gefiel diese alte ummauerte, chaotische Stadt mit ihren gewundenen Straßen und Kanälen, wo Paläste und Hütten sich in unübersehbarem Durcheinander mischten und wo es Menschen gab, die in Booten auf dem Fluß lebten und starben, ohne je einen Fuß auf festes Land gesetzt zu haben. Er hatte sich an das Klima gewöhnt, in dem langen Sommer war es heiß und feucht in der von Taifunen heimgesuchten Stadt, aber im Winter, der von Oktober bis März dauerte, lebte es sich angenehm. Kanton war den Fremden verschlossen, was Piraten nicht davon abhielt, gelegentlich in die Stadt einzufallen. Es gab einige Handelsposten, wo die Ausländer von November bis Mai Tauschhandel betreiben konnten, aber der Gebühren, Regelungen und Behinderungen waren so viele, daß internationale Kaufleute es vorzogen, sich in Makao niederzulassen. Wenn Tao früh am Morgen zum Markt ging, fand er immer wieder neugeborene Mädchen auf der Straße liegend oder in den Kanälen schwimmend, häufig von Hunden oder Ratten angefressen. Niemand wollte sie, also weg mit ihnen. Wozu eine Tochter großfüttern, die nichts wert war und doch nur als Dienstmagd in der Familie eines künftigen Ehemanns enden würde? »Lieber ein mißgebildeter Sohn als ein Dutzend Töchter, mögen sie auch so klug wie Buddha sein«, lautete die Redensart. Ohnehin gab es viel zu viele Kinder, und immer neue wurden geboren.
    Kanton war eine dicht bevölkerte, reiche und muntere Stadt voller Tempel, Speise und Spielhäuser, Bordelle und Opiumhöhlen wuchsen überall aus dem Boden, die Festtage des Kalenders wurden geräuschvoll gefeiert.
    Auch Züchtigungen und Hinrichtungen boten Anlaß zum Feiern. Die Massen strömten zusammen, um den Henkern zuzujubeln mit ihren blutigen Schürzen und der Sammlung von scharfgeschliffenen Messern, die den Kopf mit einem einzigen sicheren Hieb vom Körper trennten. Justiz wurde in ebenso schneller wie einfacher Form gehandhabt, ohne Berufungsmöglichkeit und ohne un– nötige Grausamkeit, außer es handelte sich um Verrat am Kaiser, das schlimmste denkbare Verbrechen, das mit einem langsamen Tod geahndet wurde und der Verban– nung sämtlicher Verwandten in die Leibeigenschaft. Die kleineren Vergehen wurden mit Auspeitschung bestraft, oder die Schuldigen mußten mehrere Tage lang ein Brett um den Hals tragen, mit dem sie weder schlafen noch die Hände zum Gesicht führen konnten, um zu essen oder sich zu kratzen. Auf Plätzen und Märkten traten Geschichten– erzähler auf, die wie die

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