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Fortunas Tochter

Fortunas Tochter

Titel: Fortunas Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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Bettelmönche durch das Land wanderten und eine jahrtausendealte mündliche Tradition bewahrten. Jongleure, Akrobaten, Schlangenbeschwörer, Transvestiten, wandernde Musiker, Zauberer und Schlangenmenschen gaben sich in den Straßen ein Stelldichein, während es um sie herum brodelte: da gab es Läden mit Seide, Tee, Jade, Gewürzen, Gold, Schild– krötenschalen, Porzellan, Elfenbein und Edelsteinen. Gemüse, Obst und Fleisch boten sich in buntem Misch– masch an: Kohlköpfe und zarte Bambussprossen neben Käfigen mit Katzen, Hunden und Waschbären, die der Metzger auf Bitten der Kunden mit einer einzigen Bewegung tötete und rasch abhäutete. Es gab lange Gassen nur mit Vögeln, die in keinem Haus fehlen durften, und mit Vogelkäfigen, von den einfachsten angefangen bis zu solchen aus feinem Holz, die mit Silber und Perlmutt eingelegt waren. Andere Passagen des Marktes waren bestimmten Fischen gewidmet, die das Glück anziehen. Der immer neugierige Tao Chi’en trieb sich dazwischen herum, beobachtete, schloß Freund– schaften, und dann mußte er rennen, um seinen Auftrag in der Straße zu erfüllen, wo verkauft wurde, was er für seine Arbeit brauchte. Er konnte mit geschlossenen Augen den durchdringenden Geruch der Gewürze, Pflanzen und Heilrinden auseinanderhalten.
    Die getrockneten Schlangen stapelten sich zusammen– gerollt wie staubige Wollknäuel; Kröten, Salamander und fremdartiges Meergetier hingen an Schnüren aufgereiht wie Halsketten; Grillen und große Käfer mit harten, phosphoreszierenden Flügeldecken kümmerten in Kästen dahin; Affen verschiedener Arten warteten auf ihren Tod; Tatzen von Bären und Orang-Utans, Hörner von Antilopen und Nashörnern, Tigeraugen, Haifischflossen und Krallen von geheimnisvollen Nachtvögeln wurden nach Gewicht verkauft.
    Für Tao Chi’en vergingen die ersten Jahre in Kanton mit Studium, Arbeit und Dienst für seinen alten Lehrmeister, den er wie einen Großvater achten lernte. Es waren glückliche Jahre. Die Erinnerung an seine eigene Familie verwischte sich, und schließlich vergaß er die Gesichter seines Vaters und seiner Brüder, aber nicht das seiner Mutter, denn sie erschien ihm oft. Das Studium war irgendwann keine Arbeit mehr, es war eine Leidenschaft geworden. Jedesmal, wenn er etwas Neues gelernt hatte, flog er zu seinem Lehrer und erzählte es ihm über– sprudelnd. »Je mehr du lernst, um so eher wirst du wissen, wie wenig du weißt«, sagte der Alte lachend. Aus eigenem Antrieb beschloß Tao, das Kantonesische besser beherrschen zu lernen, denn mit dem Dialekt seines Heimatdorfes wurde er immer wieder belächelt. Er nahm die Kenntnisse seines Lehrers mit solcher Geschwindig– keit in sich auf, daß der Alte ihm scherzhaft vorwarf, er raube ihm sogar noch seine Träume, aber seine eigene Leidenschaft für das Unterrichten machte ihn großzügig. Gutherzig von Natur, war er dennoch streng in der Kritik und fordernd, wo es um Anstrengung ging, denn wie er sagte: »Mir bleibt nicht mehr viel Zeit, und in die andere Welt kann ich nicht mitnehmen, was ich weiß, jemand muß es nach meinem Tod anzuwenden wissen.« Dennoch warnte er Tao auch davor, Kenntnisse in Massen herunter– zuschlingen, eine solche Gefräßigkeit könne einen Mann in stärkere Fesseln legen als Völlerei oder Unzucht. »Der Weise verlangt nichts, richtet nicht, macht keine Pläne, er hält seinen Geist offen und sein Herz in Frieden«, sagte er. Er rügte Tao, wenn er einen Fehler gemacht hatte, mit so viel Traurigkeit, daß diesem eine kräftige Tracht Prügel lieber gewesen wäre, aber dieses Verfahren lief dem Temperament des zhong yi zuwider, der niemals zuge– lassen hatte, daß die Wut seine Handlungen bestimmte. Die einzigen Male, wo er ihn ganz förmlich mit einer Bambusrute schlug, ohne Unwillen, aber mit fester didaktischer Absicht, waren die, als er ohne jeden Zweifel feststellen mußte, daß sein Schüler der Versuchung des Spiels nachgegeben oder eine Frau bezahlt hatte. Tao Chi’en mogelte bei den Rechnungen vom Markt, um in den Spielhäusern, deren Anziehungskraft zu widerstehen ihm unmöglich schien, zu wetten oder um einen kurzen Trost mit Studentenrabatt in den Armen einer seiner Patientinnen in den Bordellen bezahlen zu können. Sein Herr merkte es nur zu bald, denn wenn er beim Spiel verlor, konnte er nicht erklären, wo das Wechselgeld geblieben war, und wenn er gewonnen hatte, war er außerstande, seine Freude zu verbergen. Die Frauen roch er an der Haut

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