Fortunas Tochter
Lust und den Söhnen, die sie ihm schenken würde. Ein ums andere Mal zählte er das Geld in seiner Tasche, als könnte er es durch Nachrechnen vermehren, aber es ergab sich eindeutig, daß es für eine Ehefrau dieser Güte nicht reichen würde.
Dennoch, mochte sein Bedürfnis auch noch so dringend sein, er dachte nicht daran, sich mit weniger zu begnügen und vielleicht für den Rest seiner Tage als Ehemann einer Frau mit großen Füßen und starkem Charakter zu leben. Die Insel Hongkong tauchte vor seinen Augen auf, mit ihrem bergigen Profil und in der Schönheit ihrer grünen Natur stieg sie wie eine Sirene aus den indigoblauen Wassern des chinesischen Meeres. Kaum hatte das leichte Boot, das ihn trug, im Hafen festgemacht, als ihm die Gegenwart der verhaßten Fremden bewußt wurde. Er hatte vorher schon einige von weitem gesehen, aber nun waren sie ihm so nah, daß er sie am liebsten angefaßt hätte, um zu ergründen, ob diese großen, so ganz anmutlosen Geschöpfe wirklich Menschen waren. Verblüfft stellte er fest, daß viele fan gui rote oder gelbe Haare und farblose Augen hatten und daß ihre Haut rosarot war wie gekochte Langusten. Die Frauen, die er sehr häßlich fand, trugen große Hüte mit Blumen und Federn darauf, vielleicht, um so ihre teuflischen Haare zu verstecken. Sie waren sehr merkwürdig angezogen, sie trugen steife, am Oberkörper eng anliegende Kleider; er nahm an, daß sie sich deshalb wie Automaten bewegten und sich nicht liebenswürdig verneigten, wenn sie grüßten, sie gingen hölzern, ohne jemanden anzusehen, und erduldeten schweigend die Sommerhitze in ihrer unbequemen Gewandung. Wohl ein Dutzend europäische Schiffe lagen im Hafen inmitten von Tausenden asiatischer Boote aller Größen und Farben. In den Straßen sah er einige Pferdekutschen, die von Männern in Uniform gelenkt wurden, sie gingen fast unter in der Masse der zum Menschentransport bestimmten Vehikel wie Sänften, Palankins, Rikschas und schlicht Männern, die ihre Kunden auf dem Rücken trugen. Der Fischgeruch schlug Tao Chi’en ins Gesicht wie ein Backenstreich und erinnerte ihn an seinen Hunger. Als erstes mußte er ein Speisehaus finden, was wegen der langen gelben Stoffstreifen, die vor diesen Lokalen hingen, nicht schwierig war.
Tao Chi’en aß wie ein Fürst in einem Restaurant, das gedrängt voll war mit laut redenden und schallend lachenden Leuten, ein unfehlbares Zeichen für Zufrieden– heit und gute Verdauung, und er genoß die delikaten Gerichte, die im Haus seines Meisters in Vergessenheit geraten waren. Der zhong yi war sein Leben lang ein großer Feinschmecker gewesen und rühmte sich, die besten Köche Kantons in seinen Diensten gehabt zu haben, aber in seinen letzten Jahren hatte er sich von grünem Tee und Reis mit ein paar Fasern Grünzeug ernährt. Um die Zeit, als Tao Chi’en sich den Gläubigern seines Herrn entzog, war er so dünn wie einer der vielen Tuberkulosekranken in Hongkong. Dies war sein erstes anständiges Essen seit langem, und der Ansturm der Geschmäcke und Düfte begeisterte ihn bis zur Ekstase.
Um das Festmahl zu beschließen, zündete er sich genußvoll eine Pfeife an. Er schwebte hinaus auf die Straße und lachte vor sich hin wie ein Narr: so voller Schwung und Glückseligkeit hatte er sich in seinem ganzen Leben noch nicht gefühlt. Er sog die Luft ein, die der in Kanton so ähnlich war, und entschied, es würde leicht sein, sich diese Stadt zu erobern, so wie er in neun Jahren die andere sich zu eigen gemacht hatte. Zuerst würde er den Markt und das Viertel der Heiler und Kräutersammler ausfindig machen, wo er Herberge finden und seine beruflichen Dienste anbieten würde. Dann würde er über die Angelegenheit mit der Frau mit den kleinen Füßen nachdenken…
Noch am gleichen Nachmittag fand Tao Chi’en Unterkunft im Dachgeschoß eines riesigen Hauses, das in jedem Raum eine Familie beherbergte, ein wahrer Ameisenhaufen. Seine Bleibe, ein finsterer Tunnel von ein Meter Breite und drei Metern Länge, fensterlos, dunkel und heiß, zog die Essensdünste anderer Mieter an, vermischt mit dem unverwechselbaren Geruch von Nachttöpfen. Verglichen mit dem vornehmen Haus seines Meisters kam dies dem Leben in einem Rattenloch gleich, aber er erinnerte sich, daß die Hütte seines Vaters ärmlicher gewesen war. Als alleinstehender Mann, entschied er, brauchte er weder mehr Platz noch Luxus, nur einen Winkel, wo er seine Schlafmatte hinlegen und sein bißchen Habe aufbewahren
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