Fortunas Tochter
sie einige Minuten in einer Brühe, die wohl seit Wochen stets dieselbe gewesen war, zog sie mit einem Sieb heraus, tauchte sie in Sojasauce und servierte sie den Passanten auf einem Stück Papier. Ihre Hände waren voller Warzen. Tao Chi’en handelte mit ihr das Frühstück eines Monats im Tausch gegen die Behandlung ihres Übels aus.
»Ah! Ich sehe, Sie mögen Krebse«, sagte sie.
»Ich hasse sie, aber ich werde sie als Buße essen, damit ich eine Lektion nicht vergesse, an die ich mich immer erinnern muß.«
»Und wenn ich in einem Monat meine Warzen nicht los bin, wer bezahlt mir dann die Krebse, die Sie gegessen haben?«
»Wenn Sie in einem Monat noch Warzen haben, schädigt das meinen Ruf. Wer würde dann wohl meine Medizin kaufen wollen?« fragte er lächelnd.
»Also gut.«
So begann sein neues Leben in Hongkong. Eine leichte Entzündung seiner Hand ging nach zwei, drei Tagen zurück, und die Tätowierung erschien als sauber gezeich– nete blaue Adern. Während er den ganzen Monat die Marktstände einen nach dem andern aufsuchte und seine Dienste als Arzt anbot, aß er nur einmal am Tag und immer gekochte Krebse und fiel so vom Fleisch, daß man eine Münze in die Rillen zwischen den Rippen hätte schieben können. Bei jedem Tierchen, das er sich, seinen Ekel bezwingend, in den Mund stopfte, mußte er lächeln und an seinen Meister denken, der auch keine Krebse gemocht hatte. Die Warzen der Frau waren nach sechs– undzwanzig Tagen verschwunden, und dankbar verbreitete sie die gute Neuigkeit in der Nachbarschaft.
Sie bot ihm noch einen weiteren Monat Krebse an, wenn er ihre Augen vom grauen Star heilte, aber Tao fand, daß seine Strafe ausreichend gewesen sei und daß er sich den Luxus leisten könne, diese Tiere für den Rest seines Lebens nie wieder zu essen. Abends kehrte er erschöpft in seine Bleibe zurück, zählte im Licht der Kerze seine Münzen, versteckte sie unter einem Brett des Fußbodens und machte sich dann in der Gemeinschaftsküche Wasser heiß, um mit Tee den Hunger zu dämpfen. Von Zeit zu Zeit, wenn seine Beine oder sein Wille nachzugeben drohten, kaufte er sich einen Napf Reis, ein bißchen Zucker oder eine Pfeife Opium, was er langsam genoß, dankbar, daß es auf der Welt so herrliche Geschenke wie den tröstlichen Reis, den süßen Zucker und die voll– kommenen Träume des Opiums gab. Sonst verbrauchte er Geld nur für seine Miete, Unterricht im Englischen, den Barbier und für das Waschen seiner Wäsche, denn er konnte nicht herumlaufen wie ein Bettler.
Sein Meister hatte sich gekleidet wie ein Mandarin. »Die gute Erscheinung ist ein Zeichen von Bildung, ein zhong yi ist nicht dasselbe wie ein Heiler vom Lande. Je ärmer der Kranke, um so reicher muß deine Kleidung sein, aus Respekt«, hatte er ihn gelehrt. Allmählich breitete sein Ruf sich aus, zuerst unter den Marktleuten und ihren Familien, dann bis ins Hafenviertel, wo er die Seeleute behandelte, sei es gegen Wunden, die sie sich bei Prügeleien zuge– zogen hatten, sei es gegen Skorbut, venerische Pusteln oder Vergiftung.
Nach sechs Monaten erfreute Tao Chi’en sich einer treuen Patientenschar und hatte es zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht. Er zog um in ein Zimmer mit Fenster und stattete es mit einem großen Bett aus, das ihm zupaß kommen würde, wenn er heiratete, ferner mit einem Lehnstuhl und einem englischen Schreibtisch. Er kaufte auch einige Kleidungsstücke, schon seit Jahren hatte er den Wunsch gehabt, sich gut anzuziehen. Er war auch bestrebt, Englisch zu lernen, denn er hatte bald erkannt, wo die Macht lag. Eine Handvoll Briten kontrollierte Hongkong, machte die Gesetze und sprach Recht, dirigierte das Geschäftsleben und die Politik. Die fan gui lebten in exklusiven Stadtvierteln und standen nur mit reichen Chinesen in Verbindung, um Geschäfte zu machen, und das immer in englischer Sprache. Die riesige Menschenmenge der Chinesen lebte im gleichen Raum und zur gleichen Zeit, aber es war, als existierte sie gar nicht. Aus Hongkong gingen die raffiniertesten Erzeug– nisse in die Salons eines Europa, das fasziniert war von dieser fernen, jahrtausendealten Kultur. China war Mode beim aufsteigenden Bürgertum. Seide machte in der Kleidung Furore; graziös geschwungene Brücken mit Lampions und Trauerweiden ahmten die wundervollen geheimen Gärten Pekings nach; die Dächer der Pagode fanden sich auf Gartenhäuschen wieder, und die Motive von Drachen und Kirschblüten wurden bis zum Erbrechen in
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