Fortunas Tochter
Dekorationen wiederholt. Kein englisches Haus, das etwas auf sich hielt, kam aus ohne einen orientalischen Salon mit einem Wandschirm, einer Sammlung von Gegenständen aus Porzellan und Elfenbein, von kindlichen Händen mit den verbotenen Stichen bestickten Fächern und kaiserlichen Singvögeln in geschnitzten Käfigen. Die Schiffe, die diese Schätze nach Europa trugen, kehrten nicht leer zurück, sie brachten Opium aus Indien, das als Schmuggelware verkauft wurde, und mancherlei billig hergestellte Waren, womit sie die kleinen örtlichen Betriebe ruinierten. Die Chinesen mußten mit Engländern, Holländern, Franzosen und Nord– amerikanern konkurrieren, um in ihrem eigenen Land Handel treiben zu können. Aber das große Unglück war das Opium. Seit Jahrhunderten hatte es in China zum Zeitvertreib und zu medizinischen Zwecken gedient, aber als die Engländer den Markt damit überschwemmten, verwandelte es sich in ein schlimmes, unkontrollierbares Übel. Es befiel alle Schichten der Gesellschaft, schwächte sie und zersetzte sie.
Anfangs hatten die Chinesen die Fremden mit Ver– achtung, Widerwillen und der ungeheuren Überlegenheit eines Volkes angesehen, das sich als das einzig zivilisierte des Universums fühlt, aber in wenigen Jahren lernten sie sie respektieren und fürchten. Die Europäer ihrerseits waren in ihren Handlungen durchdrungen von der gleichen Vorstellung rassischer Überlegenheit und betrachteten sich als Herolde der Zivilisation in einem Land von schmutzigen, häßlichen, schwächlichen, lär– menden, verdorbenen und wilden Menschen, die Katzen und Schlangen aßen und ihre eigenen Töchter bei der Geburt töteten. Nur wenige wußten, daß die Chinesen die Schrift schon tausend Jahre länger in Gebrauch hatten als europäische Völker. Während die Kaufleute die Droge und die Gewalt einführten, versuchten Missionare zu evange– lisieren. Das Christentum mußte verbreitet werden, um jeden Preis, es war der einzige wahre Glaube, und Konfuzius hielten sie für einen alten verstockten Heiden. Sie betrachteten die Chinesen kaum als menschliche Wesen, aber sie versuchten, ihre Seelen zu retten, und vergüteten ihnen die erfolgte Bekehrung mit Reis. Die neuen Christen verzehrten ihre Portion göttliche Bestech– ung und gingen dann zu einer anderen Mission, um sich von neuem bekehren zu lassen, höchlich belustigt über diese Verrücktheit der fan gui, ihre Religion zu predigen, als wäre sie die einzige auf der Welt. Für die Chinesen, die praktisch und tolerant waren, stand Spiritualität der Philosophie näher als der Religion; es war eine Frage der Ethik, niemals eines Dogmas.
Tao Chi’en nahm Unterricht bei einem Landsmann, der das Englische mit viel Gallert und wenig Konsonanten sprach, aber er schrieb es unbedingt korrekt. Das europäische Alphabet war verglichen mit den chinesischen Schriftzeichen von köstlicher Einfachheit, und nach fünf Wochen konnte Tao die britischen Zeitungen lesen, ohne sich in den Buchstaben zu verheddern, auch wenn er jedes fünfte Wort nachschlagen mußte. Nachts saß er stunden– lang und lernte. Er vermißte seinen verehrten Meister, der ihn für immer mit dem Durst nach Wissen gezeichnet hatte, und der ist genauso beharrlich wie der Durst nach Alkohol beim Trinker oder der Durst nach Macht beim Herrschsüchtigen. Ihm stand nicht mehr die Bibliothek des Alten zur Verfügung noch seine unerschöpfliche Quelle der Erfahrung, er konnte nicht mehr zu ihm gehen, um seinen Rat zu erbitten oder mit ihm über die Symptome bei einem Kranken zu sprechen - ihm fehlte ein Führer, er fühlte sich verwaist. Seit dem Tod seines Lehrers hatte er kein Gedicht mehr geschrieben oder gelesen, er nahm sich nicht mehr die Zeit, die Natur zu bewundern, zu meditieren oder die täglichen Riten und Zeremonien zu beachten, die früher sein Leben bereichert hatten. Er fühlte sich so voller Lärm inwendig, er sehnte sich nach der Leere des Schweigens und der Einsamkeit, die als das kostbarste Gut zu pflegen sein Meister ihn gelehrt hatte. In seinem Beruf lernte er vieles über die verwickelte Natur des Menschen, die emotionalen Unterschiede zwischen Männern und Frauen, die Krankheiten, die nur mit Medikamenten zu behandeln waren, und diejenigen, die dazu auch den Zauber des rechten Wortes verlangten, aber er hatte niemanden, mit dem er seine Erfahrungen austauschen konnte. Der Traum, eine Frau zu kaufen und eine Familie zu gründen, war immer in seinem Sinn, aber verwischt und zart
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