Fortunas Tochter
mit Zärtlichkeit. Ah, und wie sie gemeinsam lachten! Das war das Beste von allem, die ausgelassene Fröhlichkeit dieser Liebe. Die Kopfkissenbücher seines alten Meisters, die dem Heranwachsenden soviel nutzlose Erregung eingebracht hatten, erwiesen sich als höchst brauchbar in der Stunde der Lust. Wie es sich für eine wohlerzogene junge Frau gehörte, war Lins Betragen für gewöhnlich sittsam und zurückhaltend, aber kaum hatte sie die Angst vor ihrem Ehemann verloren, kam ihre spontane und leidenschaftliche Natur zum Vorschein. In kurzer Zeit lernte diese eifrige Schülerin die zweihundert– zweiundzwanzig Arten des Liebens, und immer bereit, Tao auf dieser verrückten Bahn zu folgen, spornte sie ihn an, neue zu erfinden. Zum Glück für Tao Chi’en enthielten die in der Bibliothek seines Lehrers theoretisch erwor– benen Kenntnisse unzählige Möglichkeiten, eine Frau zu befriedigen, und er wußte auch, daß Kraft sehr viel weniger zählt als Geduld. Seine Finger waren geübt, die verschiedenen Pulse des Körpers zu fühlen und mit geschlossenen Augen die empfindlichsten Punkte zu finden; seine warmen, festen Hände, darin erfahren, die Schmerzen seiner Patienten zu lindern, verwandelten sich in Instrumente unendlichen Genusses für Lin. Außerdem hatte er etwas entdeckt, was sein ehrenwerter zhong yi vergessen hatte ihn zu lehren: daß das beste Aphrodisi– akum die Liebe ist.
Im Bett konnten sie so glücklich sein, daß die Widrig– keiten des Lebens während der Nacht ausgelöscht waren. Aber dieser Widrigkeiten waren viele, wie schon bald offenbar wurde.
Die Geister, die Tao Chi’en angerufen hatte, um ihm bei seiner Entscheidung für eine Frau zu helfen, hatten ihre Aufgabe hervorragend erfüllt: Lin hatte eingebundene Füße und war scheu und sanft wie ein Eichhörnchen.
Aber Tao Chi’en war nicht auf den Gedanken gekom– men, die I Ging -Stäbchen zu bereden, seine Frau möge kräftig und gesund sein. Die Lin, die in den Nächten anscheinend durch nichts zu erschöpfen war, verwandelte sich am Tag in ein schwaches Pflänzchen. Mit ihren Schrittchen einer Verkrüppelten konnte sie kaum ein paar Häuserblocks weit gehen. Gewiß bewegte sie sich dabei mit der zarten Anmut einer der Brise preisgegebenen Binse, wie der alte Meister der Akupunktur in einigen seiner Gedichte geschrieben hätte, aber ebenso gewiß war ein kurzer Gang zum Markt, um einen Kohlkopf zum Abendessen zu kaufen, eine Marter für ihre goldenen Lilien. Sie klagte niemals laut, aber man brauchte nur zu sehen, wie sie schwitzte und sich auf die Lippen biß, um zu erkennen, wieviel Anstrengung jeder Schritt sie kostete.
Sie hatte auch keine kräftigen Lungen. Sie atmete mit einem leisen Pfeifton, verbrachte die lange Regenzeit mit Dauerschnupfen, und in der trockenen Zeit fiel ihr das Atmen schwer, weil die heiße Luft ihr zwischen den Zähnen steckenblieb. Weder die Kräuter ihres Mannes noch die Tränke seines Freundes, des englischen Arztes, konnten ihr Erleichterung verschaffen. Als sie schwanger wurde, verschlimmerten sich ihre Leiden, denn ihr schwacher Knochenbau konnte das Gewicht des Kindes kaum tragen. Ab dem sechsten Monat ging sie überhaupt nicht mehr aus dem Haus und saß matt am Fenster, um das Leben auf der Straße vorüberziehen zu sehen. Tao Chi’en stellte zwei Dienstmädchen ein, die die häuslichen Aufgaben erledigen und ihr Gesellschaft leisten sollten, weil er fürchtete, Lin, ganz allein gelassen, könnte in seiner Abwesenheit sterben. Er verdoppelte seine Arbeits– stunden, und zum erstenmal bedrängte er seine Patienten mit Zahlungsforderungen, was ihn mit tiefer Scham erfüllte. Er spürte den mißbilligenden Blick seines Lehrers, der ihn an die Pflicht erinnerte, zu dienen, ohne Lohn zu erwarten, denn »je mehr man weiß, um so mehr Pflichten hat man gegenüber der Gesellschaft«. Dennoch, er konnte niemanden mehr umsonst oder für eine Gefälligkeit behandeln, wie er es früher getan hatte, denn er brauchte jede kleinste Münze, um es Lin behaglich machen zu können. Damals bewohnten sie das Oberge– schoß eines alten Hauses, das er für seine Frau mit schönen Möbeln und allerlei Bequemlichkeiten ausge– stattet hatte, wie sie beide sie früher nie gekannt hatten, aber er war nicht zufrieden. Er setzte es sich in den Kopf, eine Wohnung mit Garten zu suchen, so würde sie Schönheit und reine Luft haben. Sein Freund Ebanizer Hobbs erklärte ihm - weil er selbst sich weigerte, das
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