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Fortune de France: Roman (German Edition)

Fortune de France: Roman (German Edition)

Titel: Fortune de France: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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bieten, ohne näher zu treten, die Maligou zumal, die nicht so viele Tränen vergoß, dafür jedoch die Kranke mit ihrem endlosen Geschwätz ermüdete.
    Eines Tages kam mein Schwesterlein Catherine die kleine Hélix besuchen; die blonden Flechten hingen ihr traurig in das feine Gesichtchen, und sie trug eine Puppe in den Armen. Die kleine Hélix, der gerade eine Atempause vergönnt war, bat um die Puppe, drückte sie und wiegte sie in ihren Armen mit lächelnder, glückstrahlender Miene. Bei welchem Anblick Catherine zu ihr sagte:
    »Hélix, ich schenke sie dir. Sie ist dein.«
    Worauf sie mit fliegenden Zöpfen davonlief in ihr Zimmer, sich dort auszuweinen über den Verlust ihrer Puppe, die sie innig geliebt hatte. Ich ging zu ihr, so bald ich konnte, denn ich ahnte ihren großen Kummer. Sie wohnte jetzt in dem prächtigen Gemach meiner Mutter, dem größten und schönsten von Mespech, mit golddurchwirkten Purpurvorhängen an den schönen Flügelfenstern und einem Bett mit reich verziertem Baldachin. In diesem Bett, dessen Vorhänge zugezogen waren und das so groß schien für ihren kleinen Körper, fand ich sie schluchzend und konnte sie endlich trösten.
    Seit diesem Tage blieb die Puppe in den Armen der kleinen Hélix, die nun, so schmal und zerbrechlich, wahrhaftig ein kleines Mädchen schien. Ich mußte daran denken, wie sie mich eines Nachts geweckt hatte und mir ihre Furcht vor der Hölle – ob ihrer »großen Sünde« – anvertrauen wollte; und ich bangte nun, daß diese Furcht sie erneut überkäme. Doch sie schien, wenn ihre Schmerzen nachließen und sie die Puppe fest an sich drückte, ruhig und beinahe froh.
    Tagsüber steckte bald der eine, bald der andere den Kopf durch die angelehnte Tür und sprach: »Gott zum Gruße, Hélix! Wie geht es dir?« Worauf sie nichts erwiderte, wenn sie Schmerzen litt; sonst aber lächelte sie sanft und sagte, ihre Puppe wiegend: »Besser! besser! viel besser!«
    Seither habe ich oft gedacht, daß diese Puppe für sie dasselbe war, was ich in meinen jüngeren Jahren für sie gewesen: Gegenstand einer großen Zärtlichkeit dieser kindlichen Eva, daraus später eine Sünde des Körpers, nicht aber der Seele wurde.
    Auch die Gavachette kam die kleine Hélix in ihrer Kammer besuchen, doch wurde sie hinausgewiesen, und ich weiß noch gut, wie das geschah. Obwohl kaum elf Jahre alt wie mein Schwesterlein Catherine, trachtete sie bereits nach anderen Spielen als mit ihrer Puppe, hatte schon frauliche Formen, zierte sich, wiegte sich in den Hüften und blickte mit ihren schwarzen, feucht schimmernden Mandelaugen überaus keck drein.
    Der kleinen Hélix entging dieses Gehabe nicht, und sie flüsterte mir ins Ohr:
    »Mein Pierre, dieser kleine Rabe flattert zuviel um dich herum. Schick ihn fort!«
    Was ich unverzüglich tat, doch das Zigeunermädchen, listig wie zehn Schlangen, begehrte plötzlich auf, krauste die Nase, spie Feuer und Flammen; und als mich der Zorn packte, umfaßte sie mit beiden Armen meine Taille und preßte sich an mich, um nicht hinausgedrängt zu werden. Was sie indessen nicht verhindern konnte; aber als ich die Tür wieder geschlossen und mich umwandte, sah ich die kleine Hélix in Tränen, die verzweifelten Augen auf mich gerichtet.
    Es waren ihre letzten Tränen. Tags darauf, an einem 25sten April, war sie wieder ruhig und ganz heiter.
    Am Mittag, als Faujanet den Kopf durch die Tür steckte und ihr wie gewöhnlich die Tageszeit bot, sprach sie zu ihm:
    »Mein armer Faujanet, jetzt wirst du bald meinen Sarg zimmern müssen.«
    Faujanet verfärbte sich, als er das hörte, und blieb offenen Mundes stehen, ein erstarrtes Lächeln auf den Lippen; er wußte nichts zu sagen und wagte auch nicht wegzugehen.
    Trotz ihrer Magerkeit war die kleine Hélix an jenem Tag von einer seltsamen Schönheit, die nicht mehr von dieser Welt war. Am Abend bat sie mich, sie zu waschen und mit Duftwasser zu besprühen, ihr etwas Rot auf die Wangen zu legen und ihr das Hemd zu wechseln. Da fragte ich sie, ob ich nicht Barberine oder Franchou rufen solle.
    »Nein«, sagte sie, »du sollst es tun! du allein!«
    Als ich alles getan, bedeutete sie mir, mich auf ihr Bett zu setzen, und indem sie ihr leichtes Köpfchen an meine Schulter lehnte und mit der rechten Hand ihre Puppe umklammert hielt, glitt ihre linke Hand in mein geöffnetes Wams (denn es war schon recht warm) und schloß sich über der Marienmedaille, die ich am Halse trug, dabei ihre armen verängstigten Augen mich

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