Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fortune de France: Roman (German Edition)

Fortune de France: Roman (German Edition)

Titel: Fortune de France: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
Vom Netzwerk:
vollbringen können.
    »Und auf welche Art ward Calais eingenommen?« sprach François, der genau wußte, wie gern sich Sauveterre Fragen stellen ließ.
    Wie mein Vater und viele andere hugenottische Edelleute oder Bürger hegte Sauveterre eine schier religiöse Hochachtung vor allem Wissen, welche so weit ging, dem Gesinde das Lesen beizubringen, damit es Zugang zur Heiligen Schrift hätte.
    »Calais«, so antwortete Sauveterre, »ward ausgehungert in einjähriger Belagerung. Die englische Flotte hielt den Hafen blockiert, und Philipp VI. gelang es nicht, die Stadt vom Land her zu entsetzen. Schließlich war alles aufgezehrt, auch die Hunde, die Pferde und die Katzen, so daß der tapfere Feldhauptmann Jean de Vienne, welcher den Oberbefehl in der eingeschlossenen Feste führte, befürchten mußte, die ausgehungerten Bürger würden am Ende noch Menschenfleisch essen.«
    »Wie schrecklich!« rief Barberine, deren Leib so weiß und üppig war und die immer in der Furcht gelebt hatte, bei einer Belagerung am Bratspieß zu enden. »Das Fleisch eines Christenmenschen zu essen ist eine gar schlimme Sünde.«
    »Ob Christ oder nicht«, fiel Faujanet ein, »der Hunger treibt den Wolf aus dem Wald, und wenn der Hungertod droht, wird ein jeder zum Wolf. In meinen zehn Jahren in der Legion vonGuyenne habe ich Dinge gesehen, von denen ich besser kein Wort sagen werde.«
    »Und daran tust du recht«, sprach Sauveterre verständnisvoll und fuhr fort: »Da nun alles verloren war in dieser äußersten Not, suchte Jean de Vienne zu verhandeln und ließ Eduard III. von England bitten, die Bewohner und die Soldaten aus der Stadt abziehen zu lassen. ›Niemals!‹ gab Eduard III. zur Antwort. ›Sie haben zu viele meiner wackeren Krieger getötet, nun sollen sie alle sterben!‹«
    »Welch greulicher Unhold!« rief Barberine.
    »Keineswegs«, fiel Faujanet ein, »dies war sein Recht.«
    »Aber ein barbarisches Recht«, sprach Sauveterre, »denn auch die englischen Barone baten ihren König vieltausendmal, seinen Haß zu besänftigen. Am Ende lenkte Eduard ein und wollte Bewohner wie Soldaten ziehen lassen unter der Bedingung, daß sechs angesehene Bürger von Calais ihm barfüßig, barhäuptig, im Hemd und mit einem Strick um den Hals die Schlüssel der Stadt überbrächten. An selbigen Bürgern wollte er dann seinen Willen vollziehen.«
    »Diese sechs mußten erst einmal gefunden werden!« ließ sich Jonas vernehmen. »Ich wette, das war kein leichtes Unterfangen; denn gewöhnlich haben die Stadtbürger fette Bäuche und hängen an ihrem Leben wie an ihrem Geld!«
    »Sie wurden gefunden«, sprach Sauveterre, dem diese Worte nicht recht gefielen. »Und der erste, welcher sich meldete, war der Reichste. Er ward genannt: Sire Eustache de Saint-Pierre.«
    »Da trug er ja schon den Namen eines Heiligen«, rief die Maligou, doch Sauveterre warf ihr einen so ungnädigen Blick zu, daß sie auf der Stelle verstummte.
    »Der Name tut nichts zur Sache«, fuhr Sauveterre fort. »Eustache de Saint-Pierre war ein guter Christ, welcher trotz seiner Reichtümer nach dem ewigen Seelenfrieden strebte. Und indem er sich dem Strick verschrieb, sprach er: ›Wenn ich um der Rettung dieses Volkes willen sterbe, habe ich die große Hoffnung, die Gnade und Vergebung unseres Herrn Jesu Christi zu erlangen.‹ Gewißlich täuschte sich Sire Eustache in seiner Hoffnung«, fügte Sauveterre an, »denn das Heil des Menschen erwächst nicht aus seinen Werken 1 . (Wie viele Male habe ich seitdem diesen Satz aus seinem Munde oder dem meines Vaters gehört!) Doch sein Beginnen war deshalb nicht weniger edel und fromm, wollte er doch sein Leben für die Menschen seiner Stadt hingeben.«
    »Und mußte er wirklich sein Leben lassen?« fragte Barberine, indes ihr die Tränen über die prallen Wangen rannen und auch meine Mutter und Cathau den Tränen nahe schienen. »Mir bricht das Herz«, fuhr sie fort, »wenn ich daran denke, daß der arme Moussu barfüßig wie ein Bettler und gar ohne eine Kopfbedeckung noch ein Wams auf dem Leibe an den Galgen sollte …«
    »Aber damals gab es doch noch gar keine Wämser!« warf François ein, welche Bemerkung mir haarspalterisch und herzlos erschien angesichts der großen Gefahr, worin sich Sire Eustache befand.
    »Er mußte sein Leben nicht lassen«, sprach Sauveterre, »wie auch seine fünf Schicksalsgefährten nicht, allesamt ehrenwerte und wohlhabende Bürger, von denen einer sogar zwei hübsche und liebreizende Töchter in

Weitere Kostenlose Bücher