Fortune de France: Roman (German Edition)
Hügel. Und indes wir beide da oben standen, ganz außer Atem, mit wunden Händen und schmerzenden Lenden, den Blick auf die Felder und Wälder gerichtet in jener Stunde, da die untergehende Sonne im Périgord alle Dinge in sanfte Ruhe taucht, ergriff mich die Vorstellung des Todes, welche mich seit Tagen kaum verließ, wieder mit ungekannter Macht.
»Samson«, sprach ich, »wenn man stirbt, kommt man doch in den Himmel?«
»So Gott will«, erwiderte Samson.
»Und auf der Erde besteht alles weiter?«
»Gewiß«, erwiderte Samson.
»Taniès, Marcuays, Sireil, alles besteht weiter? Auch Mespech, der Wald von La Feuillade und die Wiese der Marodeure?«
»Ja«, antwortete Samson mit Bestimmtheit, »alles besteht weiter.«
»Aber wir«, sprach ich, die Kehle wie zugeschnürt, »werden nicht mehr da sein und es nicht mehr sehen.«
»So ist es«, erwiderte Samson.
»Aber Samson, wie ist das nur möglich?«
Die Tränen rannen mir über das Gesicht, ich ergriff seine Hand und drückte sie fest.
Nachdem ich entdeckt, daß die Erde in all ihrer Schönheit fortbestehen würde, wenn ich nicht mehr auf ihr wandelte, traf tags darauf ein reitender Bote aus dem Norden ein, beladen mit Briefen für die Burgen, deren Herren an des Königs Seite Krieg führten, und brachte uns ein Schreiben des Chevalier de Siorac.
Es war an Jean de Sauveterre gerichtet, und meine Mutter zierte sich, es zu nehmen, als Sauveterre es ihr mit freudestrahlendem Gesicht reichte, nachdem er es mit Aufmerksamkeit gelesen. Doch da er im selben Augenblick nach draußen gerufen ward, legte er das Schreiben auf den Tisch des großen Saales und ging hinaus. Als dies nun meine Mutter gewahrte, näherte sie sich wie unter Zwang dem Tisch und streckte zögernddie Hand aus, als würde sie von dem Brief gleichzeitig angezogen und abgestoßen. Am Ende ergriff sie ihn und zog sich sogleich in eine Fensternische zurück (denn Barberine befand sich mit uns im Raum), überflog das Geschriebene hastig mit den Augen bis auf den Schluß, welchen sie unter Seufzern und Tränen mit großem Bedacht las. In diesem Augenblick kehrte Sauveterre zurück in den Saal, und da er sie so stehen sah, trat er zu ihr und sprach leise mit erstaunlicher Sanftheit:
»Sehet, meine Schwäherin, wie sehr Euer Ehegemahl sich doch sorgt um Euch, um Eure Gesundheit und Eure Kinder.«
»Aber der Brief ist ja gar nicht an mich gerichtet«, erwiderte meine Mutter in halb zornigem, halb klagendem Tone, wobei ihre schönen blauen Augen vor Tränen glänzten.
»Wie sich das ziemt, wenn es um Kampf und Krieg geht. Doch der ganze Schluß zeiget sehr wohl, daß Jean in Gedanken stets bei Euch weilet.«
»Wie auch bei Euch, Monsieur«, erwiderte meine Mutter in einem Anflug von Großherzigkeit, was Sauveterre mit Dankbarkeit zur Kenntnis nahm, denn er ergriff ihre beiden Hände und drückte sie herzlich.
»Bin ich nicht sein Bruder«, sprach er mit bewegter Stimme, »der ihm und seinem Weibe und seinen Kindern ergeben ist bis zum Tode?«
Das »bis zum Tode« weckte in mir höchst schmerzliche Empfindungen, denn in meiner Naivität verstand ich es in seiner buchstäblichen Bedeutung, als stünde uns der Tod unmittelbar bevor. Wußte ich zu jener Zeit doch noch nicht, daß diejenigen, welche den Ausdruck gebrauchen, im allgemeinen noch voller Leben sind und ihr Ende noch für so weit entfernt halten, daß sie ohne Schrecken davon sprechen können.
Am Abend, nachdem das Mahl und das gemeinsame Gebet geendet, hub Sauveterre an zu sprechen und erläuterte für alle, insonderheit aber für die Kinder, die er in den Angelegenheiten des Königreiches unterrichtet sehen wollte, die guten Nachrichten, welche er von meinem Vater erhalten.
Nachdem es Franz von Guise endlich gelungen, sich aus den italienischen Unternehmungen, in denen er nur Fehlschläge erlebt, zurückzuziehen, langte er am 6ten Oktober zu Saint-Germain an, wo ihn Heinrich II. sogleich zum Generalleutnant des Königreiches ernannte und an die Spitze eines Heeres stellte,welches – verstärkt durch Schweizer Söldner (deren Sold zum großen Teil von den Pariser Bürgern aufgebracht ward) und die mit ihren Gefolgsleuten aus allen Provinzen des Landes herbeigeeilten Edelleute – 50 000 Mann zählte, die darauf brannten, in den Kampf zu ziehen.
Allein es schien, als solle ihr Kampfesmut ungenutzt vergehen, ohne eine Gelegenheit zu seiner Bewährung zu finden; denn ein nicht weniger gefürchteter Feind war schon am Werke, die
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