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Fortune de France: Roman (German Edition)

Fortune de France: Roman (German Edition)

Titel: Fortune de France: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Bräuchen, Götzendienereien, Ungeheuerlichkeiten und – wie Ihr sagt – Neuerungen. Wir rühmen uns, strikt dem Worte Gottes zu folgen, wie es im Alten und Neuen Testament niedergeschrieben steht. Dies ist ein reiner Quell, von dem ein jeder, sofern er nur des Lesens mächtig, zu trinken vermag.«
    »Um sich dann seine eigene Religion im kärglichen Lichte seines schwachen Verstandes zurechtzuschneidern«, sagte Isabelle mit beißendem Spott. »Oh, nein, mein Schwäher, die Kirche hat schon recht, wenn sie es für ein Teufelswerk ansieht, daß die Heilige Schrift in die gewöhnliche Sprache übersetzt ward und nun unter den Edelleuten, Stadtbürgern und dem gemeinen Volk verbreitet wird, woraus der christlichen Religion nur höchste Verderbnis erwachsen kann.«
    »Was!« rief mein Vater, »jetzt sind wir es, die die christliche Religion verderben, wo wir doch nichts anderes tun als versuchen, zur ursprünglichen Reinheit ihrer Quellen zurückzufinden, indem wir die Welt mit dem Worte Gottes erquicken! Welchselbiges Wort Eure Prälaten und Euer Papst unter vielerlei Hinzufügungen, Ungereimtheiten und abergläubischen Narrheiten fast erstickt haben!«
    »Monsieur«, entgegnete Isabelle, »sprecht nicht so vom Heiligen Vater, sonst verlasse ich das Gemach.«
    »Madame«, sprach darauf Pastor Duroy mit sanfter, ernster Stimme, »wenn es Euch belieben wollte, mit der Demut eines Christenmenschen zu verfahren, so würdet Ihr das Wort Gottes nicht auf den Lippen der Menschen suchen, sondern auf den Seinen, in Seiner Heiligen Schrift. Und würdet den Papst nicht den ›Heiligen Vater‹ nennen.«
    »Und warum nicht, wenn ich bitten darf?« fragte meine Mutter mit Herablassung, doch nichtsdestoweniger beeindruckt durch das ehrwürdige Aussehen des Pastors Duroy.
    »Weil Christus gesagt hat (Matthäus 23,9): ›Und sollt niemand Vater heißen auf Erden; denn Einer ist euer Vater, der im Himmel ist.‹«
    Zu hoffen, meine Mutter würde sich durch diesen Einwand geschlagen geben oder wäre in ihrer Überzeugung auch nur wankend geworden, war weit gefehlt.
    »Meine Demut«, sprach sie erhobenen Hauptes, »besteht darin, mich nicht auf meinen schwachen Verstand zu verlassen und die kanonischen Bücher nicht mit meinem geringen Urteilsvermögen auszudeuten, sondern auf die Weisheit der Kirchengelehrten und der heiligen Prälaten zu vertrauen, welche seit Jahrhunderten die Glaubenssätze und Kirchengebräuche festgelegt haben.«
    »Und dabei«, sprach Pastor Duroy, »Irrtümer auf Irrtümer gehäuft, das göttliche Wort verdreht und verfälscht, die heiligen Sakramente zu gewinnbringender Handelsware gemacht haben.«
    »Monsieur, solche Worte will ich nicht hören«, sagte Isabelle.
    »Ihr solltet wahrlich mit mehr Demut sprechen, Madame!« hielt ihr mein Vater mit Heftigkeit entgegen, »Ihr, die Ihr seit Beginn dieses Gespräches Eurer Familie und Eurem Ehegemahl mit teuflischem Stolz trotzt; Ihr, die Ihr mit den Ohren die Wahrheit nicht hören und sie mit den Augen nicht sehen wollt: weil ich Euch liebe, habe ich in all den Nächten, da der unerträgliche Gedanke Eurer Verdammnis mir den Schlaf raubte, tausendmal Euch angefleht, wenigstens einmal im Alten und im Neuen Testament zu lesen.«
    Dieses »weil ich Euch liebe« ließ Isabelle erbleichen und brachte sie mehr ins Wanken als alles bisher Gesagte, doch faßte sie sich sogleich wieder und sprach mit größter Unnachgiebigkeit:
    »Ich lese mein Meßbuch und das Stundenbuch der seligen Maria, denn das sind erlaubte Bücher. Doch werde ich weder das Alte noch das Neue Testament lesen, denn die Kirche verbietet es mir. Und ich halte daran fest, daß außerhalb der Kirche kein Heil ist.«
    »Was sagt Ihr da, Madame?« rief mein Vater erbleichend. Und zu Pastor Duroy gewandt, fragte er mit vor Schmerz erstickter Stimme:
    »Habt Ihr diese Gotteslästerung vernommen?«
    »Es ist ein gar schlimmer Irrglaube«, erwiderte Duroy, »die katholische Kirche an die Stelle Christi zu setzen und zu einem Götzen zu machen. Madame, außerhalb Christi ist kein Heil.«
    Isabelle, welche der Grimm meines Vaters bisher nicht hatteeinschüchtern können, schien sehr betroffen – nicht von der Antwort Duroys, sondern von dem sichtlichen Kummer, den ihre Worte ihrem Ehegemahl bereitet hatten. So schwieg sie, und es trat eine Art unausgesprochener Waffenstillstand zwischen den Streitern ein, als wolle ein jeder Atem schöpfen und versuchen, die empfangenen Schläge zu verwinden.
    Sodann ergriff

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