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Fossil

Fossil

Titel: Fossil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caitlín R. Kiernan
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fiel, wie die Gestalt aus einem Märchen, das ihm seine Mutter einmal vorgelesen hat. Er fiel schnell, ohne irgendwo anzukommen, und dann sah er den Welpen, die älteren Jungen, die ihn eines Nachts weggeholt hatten, als in Daveys Haus alles schlief. «Oh», sagte er, «o nein», und sah dann auch alles andere, sah es ganz genau, konnte aber nicht mehr sprechen, bevor er sich erbrach. Sein Mittagessen ergoss sich über die Turnschuhe eines seiner Freunde, und jemand lief hinein zu Daveys Mutter, schrie ängstlich, und die Welt faltete sich zusammen wie ein Pappbecher, auf den man drauftrat. Deacon stürzte rückwärts in die schwarze Leere, die als Einziges zurückblieb.
    Diesmal ging es gleich mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus, Sanitäter, eine Trage, alles, was dazugehört. Nicht dass er sich an die Fahrt erinnern könnte, die plärrenden Sirenen oder die Notaufnahme. Alles war schwarzer traumloser Schlaf, bis er die Augen in einem weißen Zimmer öffnete, in dem es nach Medizin und Desinfektionsmitteln roch, und seine Mutter weinte.
    «Sie haben ihn getötet», sagte er, die Worte heiser, weil sein Hals so trocken war und wehtat, aber er musste es schnell erzählen, bevor er es wieder vergaß. Sein Vater, der am Fenster stand, drehte sich um. Er sah wütend aus, als ob man ihn gerade ungebührlich belästigte oder ihm etwas peinlich war oder als ob Deacon irgendetwas Unanständiges erwähnt hätte, aber der ignorierte die Blicke seines Vaters. Seine Mutter weinte noch lauter.
    «Daveys Hund», sagte Deacon. «Sie haben ihn getötet, er ist auf der Wiese hinter der Schule.»
    Sein Vater machte einen Schritt auf das Bett zu. «Deacon», sagte er, «falls du das nur machst, um Aufmerksamkeit zu erregen, gibst du es besser sofort zu. Jetzt. Bevor alles nur noch schlimmer wird, als es ohnehin schon ist.» Die Sonne ging hinter seinem Vater unter wie ein Feuerball, zu hell, um hineinzusehen, also schaute Deacon stattdessen zu seiner Mutter hinüber.
    «Sie haben ihn getötet», wiederholte er. Er redete lieber mit ihr, weil sie nur Angst zu haben schien und nicht wütend war, ihm keine Schuld gab an dem, was geschehen war. Doch sie schüttelte den Kopf, verstand ihn auch nicht.
    «Wen denn nur, Deke? Wir wissen nicht, wovon du redest.» Das tat er selbst auch nicht, nicht richtig jedenfalls, aber er sagte es ihr trotzdem, während sein Vater sich wieder wegdrehte, zum Fenster. Deacon erzählte ihr, wie die Jungen den Welpen gestohlen und ihn mit einem Hammer erschlagen hatten, geschlagen, bis all seine Knochen gebrochen waren. Dann hatten sie ihn gegen einen Baum auf der Wiese hinter der Schule genagelt und dort zurückgelassen.
    «Du hast dir bestimmt den Kopf angeschlagen», sagte seine Mutter, sprach mit ihm, als ob er fünf oder auch fünfundsiebzig Jahre alt wäre, so wie sie mit seiner Großmutter im Altersheim redete. «Du hast bei Davey Football gespielt und bist dann auf den Kopf gefallen. Erinnerst du dich nicht mehr ans Footballspielen, Deke?»
    «Ich habe mir nicht den Kopf angeschlagen, Mom. Ich habe mir nur den Knöchel verstaucht. Ich habe mir nicht den Kopf angeschlagen, das schwöre ich dir.» Sein Vater drehte sich wieder um, wütender Vater, in Feuer gerahmt, und seine Mutter war schon dabei, die Decke von Deacons nackten Füßen wegzuziehen.
    «Sein Knöchel ist geschwollen, Marty», sagte sie, die Mutterstimme dünn, zerbrechlich, überdehnt.
    «Das bedeutet noch lange nicht, dass er nicht lügt. Es bedeutet nicht, dass er sich nicht den Kopf verletzt hat.» Sein Vater starrte ihn an, starrte ihn nur an. Hinter Martin Silveys Augen verbargen sich dunkle Geheimnisse, Deke konnte sie erkennen, aber es sollte noch Jahre dauern, bis er sie auch verstand, alte Geheimnisse, die sich als Abneigung oder Enttäuschung tarnten.
    «Wenn du weiter solche Sachen erzählst, Deacon, wird man denken, du wärst verrückt. Weißt du, was das für Folgen haben kann, wenn man dich für verrückt hält?»
    «Du machst ihm Angst, Marty. Himmel, schüchtere ihn nicht auch noch ein, wo er sowieso schon im Krankenhaus liegt und wir nicht einmal wissen, was ihm fehlt.»
    Aber sein Vater nahm sie entweder nicht wahr oder hörte einfach nicht zu, er beugte sich dicht zu seinem Sohn herunter, sein Atem roch leicht nach Whiskey, und was Deacon eben noch an seinen Augen abgelesen hatte, war nun verschwunden, jetzt stand darin nur sonderbare ernste Sorge.
    «Ich versuche nicht, dir Angst zu machen, Deke. Du hast ja keine

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