Fossil
dem Teppich, seine Mutter über ihn gebeugt, ihre angespannte Miene verriet, dass sie sich zu Tode erschrocken hatte.
«Deke, o Gott, Schätzchen, geht es dir gut? Was ist nur passiert?» Und er sagte ihr, dass ihre Schlüssel in der Manteltasche waren. Eine lange Sekunde Schweigen, während ihr Gesichtsausdruck sich von Besorgnis in Verwirrung verwandelte, schließlich half sie ihm aufzustehen, und Deacons Knie waren noch weich, also begleitete sie ihn zum Sofa.
«Sie sind im Mantel, Mom, ehrlich.» Da waren sie dann tatsächlich, genau da, wo sie sie am Abend zuvor gelassen hatte.
«Woher wusstest du das, Deke?» Aber das war jetzt auch egal, weil sein Kopf viel zu wehtat, um noch ins Kino zu gehen, er tat so weh, dass Deacon den Rest des Tages in seinem Zimmer mit zugezogenen Vorhängen verbrachte und nicht einmal zum Abendbrot herunterkam.
Danach ein Besuch beim Arzt, mehrere Besuche, Spezialisten, und nach verschiedenen Untersuchungen versicherte jeder von ihnen Dekes Eltern, dass ihr Sohn kein Epileptiker war, und nein, er hatte auch keinen Gehirntumor, und weder seine Mutter noch sein Vater erwähnten die Autoschlüssel. Als ob die kein Teil der Geschichte gewesen wären, es ging immer nur um seine Bewusstlosigkeit und die anschließenden Kopfschmerzen. Sein Vater beschwerte sich über die Rechnungen, die die Ärzte schickten, obwohl dem Kind gar nichts fehlte, aber niemand fragte Deacon noch einmal nach den Autoschlüsseln. Ein Monat verging, zwei Monate, und zu Weihnachten war die ganze Angelegenheit vergessen.
Aber das war der Anfang, so begann es, nicht halb so dramatisch wie die Geschichte mit Davey Barbers Beaglewelpen, verlorene Autoschlüssel sind weder ein besonders grausamer noch besonders trauriger Vorfall, und später sollten alle immer nur von dem toten Hund reden, nicht von den Autoschlüsseln.
Noch fünf Minuten, bis Sheryls Schicht vorbei ist, bevor jemandem auffällt, dass Deacon ja die Tür verriegelt hat, angenehmer Gedächtnisschwund. Dann eine Faust, die hart gegen das Glas trommelt, bum, bum, bum, und Deacon denkt, vielleicht ist es der Dicke mit der Polizei, und vielleicht muss er nun heute doch nicht mehr zur Arbeit in den Waschsalon. Sheryl starrt finster hinüber zur Tür und verflucht Deacon, wirft einen Blick auf die Budweiseruhr überm Tresen und schimpft, weil Bunky Tolbert schon wieder zu spät kommt. Sie geht um den Tresen herum, Deacon dreht sich auf seinem Barhocker zur Seite und sieht zur Tür, nur für den Fall, dass es wirklich der auferstandene Dicke ist.
«Du hast die verdammte Tür abgesperrt, Deke», sagt Sheryl, dann schreit sie wem auch immer draußen zu, dass er aufhören soll, gegen das Glas zu hämmern, und jetzt mal eine Minute warten muss, verdammt.
«Da hat sich bis eben keiner drüber beschwert», sagt Deacon kühl.
«Deinetwegen verlier ich noch meinen Job, du Arschloch», meckert sie, die Tür steht jetzt offen, und es ist doch nicht der Dicke. Nur Sadie in schwarzem Polyester und mit schwarzem Eyeliner, den sie nie abschminkt, weil es einfacher ist, ihn neu nachzuziehen, deshalb sieht sie immer ein bisschen wie ein blutarmer Waschbär aus. Sadie Jasper mit ihrer silbernen Handtasche in Sargform. Deacon lächelt ihr zu, ein mühelos betrunkenes Lächeln, er ist nur ein bisschen enttäuscht, weil es nicht Mr. KILL THE MOTHERFUCKERS ist und er nun doch zur Arbeit muss.
«Hi Babe», sagt er. Sadie setzt sich auf den Barhocker neben ihm, küsst Deacon auf die Wange, und sie riecht leicht nach Nelkenzigaretten und Vanilleöl, angenehme Gerüche voller Geborgenheit.
«Du bist draußen auf der Straße nicht zufällig so einem richtig fetten Scheißkerl begegnet?»
Sadie starrt ihn aus diesen Augen an, die ihn manchmal noch immer ganz verrückt machen, Mandelblick und dazu ihre hellblauen Pupillen im verlaufenen Eyeliner und das blauschwarze Haar.
«Nein», antwortet sie, «allerdings habe ich ehrlich gestanden auch nicht sonderlich drauf geachtet.» Todernst, nur ein winziges Lächeln, und Deke weiß, sie hat begriffen, dass er es nicht ernst meinte.
«Wie ausgesprochen bedauerlich.» Er erwidert ihren Kuss, schmeckt ihren wächsernen schwarzen Lippenstift, und ihm fallen so viele Dinge ein, mit denen er die Nacht lieber verbringen würde, als Highland-Avenue-Yuppies dabei zuzuschauen, wie sie die Weiß- von der Buntwäsche trennen.
«Möchtest du was trinken?», fragt Sheryl. Sie spricht zwar mit Sadie, sieht dabei aber zur Uhr, sie hätte
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