Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fossil

Fossil

Titel: Fossil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caitlín R. Kiernan
Vom Netzwerk:
verdreht neben der Straße liegt, eine blutige Stoffpuppe, von einem weißen Kreidestrich eingerahmt, stellt sich kleine behaarte Stücke ihrer Kopfhaut unter den Scheibenwischern des Saab oder BMW von irgend so einem Arsch vor, und dabei muss sie fast lächeln. Sie kickt eine leere Plastikflasche beiseite, in der einmal Bremsflüssigkeit war. Das Ding hüpft vor ihr her, bis es schließlich an der Bordsteinkante liegen bleibt.
    Es hat überhaupt keinen Sinn, sich vorzumachen, dass es Deacon auch nur einen Scheiß interessieren würde. Hey, Kumpel, jemand hat gerade deine Freundin überfahren, und jetzt ist sie tot. Eine verdammte Straßenpizza, Mann. Sadie kann genau vor sich sehen, wie er sich einen Moment oder zwei die Augen reibt, ein einstudierter Blick zur Decke der beschissenen kleinen Bar, und dann bestellt er ein kleines Glas Whiskey. Fast teuer, der Whiskey im PLAZA, falls sie sich recht erinnert. Eine Alkoholträne für die arme zerquetschte Sadie, und auch das nur, wenn sie Glück hätte. Schnell sieht sie sich nach etwas anderem um, dem sie einen Tritt versetzen kann, etwas, das sich nicht wehren kann.
    Die steile Straße kreuzt die 21. hier biegt Sadie rechts ab, in Richtung ihrer Wohnung, der winzigen Wohnung, die sie mit Deacon teilt. Sadie entdeckt eine alte Cola-Light-Dose im Rinnstein. Sie will dagegen treten, stellt sich dann aber erst einmal vor, dass Chance Matthews’ Gesicht auf das silberrote Aluminium gedruckt ist, und stampft kräftig drauf. Viel befriedigender, wenn man fühlt, wie das weiche Metall unter der Stiefelhacke nachgibt, bis es ganz platt ist, köstlicher, knirschender Ton der Zerstörung, während sie die Dose vor und zurück schiebt auf dem Teer. Und dann rast ein Auto vorbei, glänzend schwarz verschwommene Umrisse, die Reifen quietschen, die Hupe wie das ohrenbetäubende Kreischen einer Todesfee, und irgendein ein Kerl schreit, dass sie verdammt nochmal von der Straße verschwinden soll. Verschwinde von der Straße, du verdammter Freak. Ein Rauschen und Abgase, und Sadie beobachtet, wie das Auto davonrast, dann starrt sie nach unten auf die Coladose, die überhaupt nicht mehr aussieht wie Chance Matthews.
    «Pisser», flüstert sie und tritt zu, schickt das Aluminium schlitternd und springend dem Auto hinterher, das sie fast überfahren hätte, und so beschließt Sadie Jasper, dass man vielleicht doch auf dem Bürgersteig gehen sollte.
    Noch ein Block bis zur Bank, wo Sadie in der Regel genug auf dem Konto hat, damit man es ihr nicht kündigt oder ihr Gebühren berechnet, weil es leer ist. Die Frau am Schalter lächelt freundlich, ein bezahltes, unaufrichtiges Lächeln, nimmt das bonbongrüne Stück Papier mit der Unterschrift von Sadies Mutter darauf, der Einzahlungsschein ist von Sadies eigener ausladender Handschrift vernarbt. Die Angestellte gibt ihr dafür hundertfünfzig Dollar in bar. Den Rest hat Sadie auf dem Konto gebunkert. Sie zählt das Geld, bevor sie es in ihre Bad-Badtz-Maru-Brieftasche stopft. «Danke, Miss Jasper. Und noch einen schönen Tag», sagt die Schalterbeamtin, aber Sadie weiß, dass es der damit genauso ernst ist wie mit ihrem Plastiklächeln, dass sie wahrscheinlich an all die Kunden denkt, die ungeduldig hinter Sadie aufgereiht stehen. Vielleicht überlegt sie auch, wie jemand in aller Öffentlichkeit angezogen wie ein Asyl suchendes Mitglied der Addams Family herumlaufen kann. Sadie lässt sich extra ein paar Sekunden mehr Zeit mit der Brieftasche, noch eine Sekunde, um sie wieder zuschnappen zu lassen, dann starrt sie die Frau hinterm Schalter an, ohne zu lächeln, sondern mit einer irgendwie gequälten Miene, die sie sonst vielleicht aufsetzen würde, wenn sie in Hundescheiße getreten ist, möglicherweise.
    «Bitte, bitte», sagt sie.
    Sie verlässt die Bank, verlässt die durch eine Klimaanlage gekühlte und nach Teppich riechende Luft, überquert die 20. in Richtung des staubigen Antiquariats, das sich zwischen einen Eisenwarenladen und eine Fahrradwerkstatt quetscht. Das Klingeln einer Kuhglocke, als sie die Tür öffnet, hier gibt es keine Klimaanlage, nur ein paar Deckenventilatoren hoch oben, die da bestimmt schon hängen, seit Eisenhower Präsident war. Rostige Stahlblätter, die die abgestandene, nach Büchern riechende Hitze hin und her bewegen. Der alte Mann hinterm Tresen lächelt ihr zu. Sein Lächeln ist echt, es erinnert Sadie an den Großvater, den sie nie hatte, mit weißen Augenbrauen, und der alte Mann sagt: «Guten Tag,

Weitere Kostenlose Bücher