Fotostudio Plange I (German Edition)
musste dringend!
Du wirst mit der Zeit dafür ein gewisses Gespür dafür entwickeln, ob jemand
oder ob nicht. Aber wie alle Gefühle, kann man sich auch da täuschen. Ist mir
auch schon passiert. Ich hätte es von Igor auch nicht gedacht, als ich ihn das
erste Mal gesehen hatte. Aber über wen reden wir eigentlich?“
„Ah, über niemanden!“ Er blickte mich ganz unschuldig an.
„Marvin Plange! Erzähl mir doch keinen vom Pferd! Einem
alten Trapper sollte man nicht in sein Gewehr scheißen wollen. Da scheint es
doch jemanden zu geben, sonst würdest du nicht fragen!“ Ich blickte ihn diesmal
direkt an.
Der Kleine schaute auf dem Boden. „Hast ja recht! Da gibt
es jemanden, der mich interessiert.“
„Nun lass dir nicht als aus der Nase ziehen! Wie heißt
er?“ Meine Neugier war geweckt.
„Jonas!“ Er sprach ziemlich leise.
„Netter Name! Wer ist er?“
„Ein neuer Mitschüler. Ist erst vor einem Monat zu uns
gekommen, aus Düsseldorf! Irgendwie süß, aber irgendwie auch unnahbar! Lässt
kaum jemanden an sich ran, steht immer alleine in den Pausen herum und spricht
nur das Notwendigste, auch im Unterricht. Aber er hat unheimlich lange Wimpern
und, wenn er neben mir in Deutsch sitzt, kann ich mich kaum konzentrieren. Ich
freu mich jeden Morgen, wenn ich ihn im Bus sehe!“ Er wirkte bei der
Schilderung dieses männlichen Zeitgenossen wie ein pubertierendes Mädchen, dass
zum ersten Mal einen Schwarm sein eigen nennt.
Der Kleine war also auf dem besten Wege, sich zu
verlieben. Ich freute mich für ihn! „Dann bring ihn doch einfach mal mit!
Vielleicht kann ich dir ja nach einem gemeinsamen Kaffee sagen, ob er auch
verzaubert ist. Ich hab im Erkennen ja ein paar mehr Erfahrungen als du und
kann dir dann sagen, ob sich weitere Anstrengungen in der Richtung überhaupt lohnen!“
Er blickte mich erstaunt an und schüttelte den Kopf.
„Soll ich sagen: ‚Hey Jonas! Mein schwuler Onkel und ich wollen herausfinden,
ob du auch auf Männer stehst. Komm doch einfach mal zum Kaffee vorbei!‘ Das ist
doch Schwachsinn!“
„So plump würde ich das nicht machen. Aber wenn ihr
zusammen im Bus fahrt, dann musste ja auch hier in der Ecke wohnen. Habt ihr
mal gemeinsam Schulschluss?“
Er überlegte angestrengt. „Am Freitag, nach der sechsten
Stunde, nach Deutsch! Wieso fragst du?“
„Weil du dann am Freitag neben ihm an der Bushaltestelle
warten wirst! Ich komme dann ganz zufällig mit dem Wagen an und frage, ob
jemand in Richtung Ludwigstraße mitfahren möchte. Versprechen kann ich zwar
nichts, aber versuchen? Das geht auch alle Fälle!“
„Du meinst, wenn er erst einmal im Wagen sitzt, dann wird
er auch reden?“
„Schauen wir mal, dann sehen wir weiter! Wie gesagt:
Versuch macht klug, oder wie immer der Spruch geht. Aber nu lass uns mal
langsam nach oben gehen, mir knurrt schon der Magen.“ Ich erhob mich und er
folgte mir stehenden Fußes.
Als Igor am nächsten Nachmittag aus Münster zurückkam,
benahm er sich wie ein Kleinkind. Im Ruhrgebiet würde man sagen, er hatte Spaß
in den Backen in anderen Gegenden hätte er wahrscheinlich Hummeln im Hintern.
Er hatte sein Appartement im Wohnheim am Morgen über- und die Schlüssel hierzu
abgeben. Sein Abschied aus der Universitätsstadt war damit eingeleitet.
Wir wollten schon mit einem Glas Sekt auf seinen
endgültigen Einzug anstoßen, als mir das Wichtigste an einem Wohnungswechsel
überhaupt einfiel. „Warst du eigentlich schon auf dem Amt?“
Er zuckte mit den Schultern. „Nein! Wieso sollte ich? Ich
hatte in Münster eh doch nur meinen Zweitwohnsitz!“
„Das mag ja sein, aber wo wohnst du denn dann laut
Personalausweis? Hier doch bestimmt nicht!“ Ich blickte ihn an.
Verlegen sah er nach unten. „Mist! Immer noch bei meinen
Eltern! Dann muss ich mich wohl noch ummelden, um das Ganze zwischen uns
hochoffiziell zu machen! Kommst du mit? Ich hab doch keinen Mietvertrag, oder
soll ich dir einen unterschreiben? So ein Wisch braucht man doch, um sich
irgendwo anzumelden, oder?“
„Na klar komm ich mit. Bei Marvins Ummeldung musste ich
sogar den Gerichtsbeschluss mitnehmen, aber du bist ja schon über 18!“ Ich
grinste ihn an.
Wir machten uns per pedes auf zum Rathaus, mit dem Wagen
lohnte sich der Weg nicht, denn inklusive Parkplatzsuche am Beamtenbunker wären
weit mehr als 20 Minuten vergangen, der einfache Fußmarsch dauerte knapp
Weitere Kostenlose Bücher