Fränkisch Schafkopf
Selbstbeherrschung und der kompromisslosen Programmgestaltung für diesen späten Abend vorbei. Sie konnte die faktische Macht dessen, was sie in der Steuerwald-Landmann-StraÃe erfahren hatte, nicht mehr leugnen. Die Gedanken machten sich selbstständig und schickten ungebetene Boten kreuz und quer durch ihren Kopf. Sie sah die junge, hübsche, ernste Thailänderin vor sich, Arm in Arm mit Jakobsohn, dann mit Heinrich an ihrer Seite. Sie hörte das Meer rauschen und die Palmwedel im Wind säuseln. Hörte aber auch das hässliche Wort Sextourismus. Heinrich, Heinrich â¦
Noch weigerte sie sich, über ihn zu richten. Auch weil sie insgeheim fürchtete, am Ende dort anzulangen, wo es kein Zurück mehr gab.
Nachdem der Wein getrunken und die Chipstüte leer war, ging sie ins Bett. Als sie sich in das Kopfkissen eingrub, wunderte sie sich noch, wie schnell sich manche Bilder im Kopf übermalen lieÃen. Dann schlief sie ein.
7
Als sie am nächsten Morgen nach einer traumlosen Nacht aufwachte, schoss ihr Heinrich durch den Kopf. Sie war erstaunt, wie sehr sie sich gestern Abend noch über ihn aufgeregt hatte. Jetzt war ihr nämlich die ganze Sache auf eine unerklärliche Weise egal. Na ja, fast egal.
Wer war sie denn, dass sie ihm in seine Urlaubsgestaltung hineinreden durfte? Ihm vorschreiben, wie und mit wem er seine Freizeit verbrachte? Das wollte sie umgekehrt ja auch nicht. Freilich, sie hätte gut und gern auf diese Entdeckung verzichten können. Und Heinrich wäre das sicher auch lieber gewesen. Seine Geheimnistuerei um diese Thailand-Reise sprach doch Bände. Er hatte ein schlechtes Gewissen.
Auf dem Weg in die Küche fiel ihr wieder einer dieser Sinnsprüche fürs Poesiealbum ein, den sie sicher irgendwann einmal bei ihrer Mutter aufgeschnappt hatte: Leben ist nichts anderes als das Suchen nach Glück. Ein Satz, so banal wie allgemeingültig. Hatte Heinrich sein Glück dort am Meer, unter den Palmwedeln, gefunden? Nein, das glaubte sie nicht. Auch weil sie der festen Ãberzeugung war, alles, was er brauchte, habe er ja hier. Keiner ihrer Kollegen schien derart zufrieden mit seinem Leben zu sein wie Heinrich. Ausgeglichen und mit sich im Reinen.
Und dennoch ⦠vielleicht hatte sie sich in diesem Punkt in ihm getäuscht. Die genügsame Zweisamkeit mit seiner GroÃmutter, von der er immer so liebevoll redete, entsprach wohl nicht seinen Vorstellungen von einem erfüllten Leben. Da fielen ihr die Sticheleien von den Kollegen ein, von den Familienvätern vor allem. Bei denen firmierte Heinrichs Oma als »Lebensabschlussgefährtin«. Seine GroÃmutter als die eifersüchtige Wächterin, der keine Freundin gut genug war für ihren lieben, erfolgreichen, einzigartigen Heinrich. Und vielleicht war das ja, der Druck von auÃen, das Gefühl, nicht in die gesellschaftliche Norm zu passen, genauso schlimm wie seine Sehnsucht. Oder noch schlimmer.
Auch wenn man jahrelang ganz ordentlich allein klarkommt, wie es bei Heinrich sicher der Fall war, wird der Zustand als knapp vierzigjähriger Single irgendwann einmal zum Problem. Das wusste sie aus eigener Erfahrung. Weil man nur über die Bestätigung eines anderen das Gefühl bekommt, als Mensch liebenswert und einzigartig zu sein. Und ausgerechnet dort, in Thailand, bei dieser jungen Frau, hatte Heinrich nun diese Bestätigung gesucht, die er hier nicht gefunden hatte. Wie unglaublich dumm und naiv von ihm!
Das aufgeregte Zischen ihrer verkalkten Kaffeemaschine riss sie aus ihren Gedanken. Schon Viertel nach sieben. Sie schenkte sich einen Becher Kaffee ein, trank ihn brühheià im Stehen und stellte sich dann unter die Dusche. Eine gute Viertelstunde später verlieà sie hungrig, aber ausstaffiert mit dem Paradestück ihres Kleiderschranks, dem taubenblauen Hosenanzug, die Wohnung.
Zügig lief sie den Burgberg hinunter, überquerte den noch menschenleeren Hauptmarkt und ging dann schnurstracks die KaiserstraÃe entlang, ohne nach rechts und links in die Schaufensterauslagen zu sehen. Sie wusste jetzt, wie sie Heinrichs Thailand-Reise einschätzen konnte. Als einen verzweifelten und vergeblichen Versuch, seinem Leben etwas Glanz und Liebe aufzusetzen. Gleichzeitig war ihr aber auch bewusst, dass sie die Einzige war, die dies so verständnisvoll und kulant sah. Wer immer davon auch Wind bekäme, er würde Heinrich entweder mit Häme
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