Fränkisch Schafkopf
Skifahren, wie Sie meinem Kollegen gegenüber behauptet haben?«, sagte Paula ohne jeden Vorwurf in der Stimme. Und auch ihre nächste Frage »Warum haben Sie uns da angelogen?« war frei von jedem anklagenden Ton.
Zwei Fragen, auf die sie zwei rhetorische Gegenfragen erhielt. »Hätte das nicht jede Mutter in einer solchen Situation gemacht? Dass sie ihren Sohn vor der Polizei, die ihm vor dem Haus auflauert und ihn dann sogar zur Fahndung ausschreibt, schützen will?«
Da lieà Paula das Thema auf sich beruhen und fragte stattdessen: »Wie würden Sie sein Verhältnis zu seinem Bruder Tobias beschreiben, der wohl, wenn ich es richtig gehört habe, schon seit Längerem von daheim ausgezogen ist?«
Monika Harrer, die soeben ein Leinentaschentuch aus ihrer Hosentasche gezogen hatte, sah sie erstaunt an. »Gut. Normal. Dass Tobi nicht mehr bei uns wohnt, hatte nichts mit einer mangelnden Zuneigung unter den Brüdern zu tun. Auch wenn sie in vielen Punkten verschieden waren. Aber in einem durchwegs positiven Sinn.«
Paula fragte nach dem Namen der Freundin und der Studienfreunde. Eva Brunner machte sich Notizen.
Dann stand die Kommissarin auf. »Eine letzte Frage habe ich noch: Das Verhältnis Ihres Sohnes zu seinem Onkel, zu Ulrich Jakobsohn, wie war das?«
Monika Harrer war so erschrocken über diese Frage, dass das Taschentuch, das sie noch immer zusammengeknüllt in der Hand hielt, zu Boden glitt. Sie hob es auf und sah Paula mit weit aufgerissenen Augen an. »Ja, glauben Sie denn, das eine hat mit dem anderen zu tun?«, flüsterte sie.
»Wir können es nicht ausschlieÃen.«
»Sebastian und mein â¦Â«, sie stockte, »Bruder waren sehr unterschiedlich. So unterschiedlich, wie Ulrich und ich es waren. Jeder hatte seine eigenen Ansichten und Vorstellungen von dem, was das Leben ihnen bieten sollte. Sie sind sich aus dem Weg gegangen.«
Diesmal hatte Paula Steiner das Gefühl, dass Monika Harrer die Wahrheit gesagt hatte. Jetzt, wo beide, Sohn und Bruder, tot waren, machte alles andere ja auch keinen Sinn mehr. Jetzt musste nichts mehr vertuscht oder beschönigt werden.
Bevor sie sich verabschiedete, bat sie noch um ein aktuelles Foto von Sebastian. »Sie kriegen es natürlich so bald als möglich zurück.«
Monika Harrer trat vor den Kaminsims und griff mit sicherer Hand nach dem Porträt, das ihren Sohn am vorteilhaftesten darstellte: ein offenes Lachen, das blonde Haar hing ihm locker in das schmale markante Gesicht, die tiefblauen Augen strahlten. Sie reichte Paula das Foto inklusive Silberrahmen.
Als sie über die Pegnitzauen zu ihrem Wagen gingen, sagte Paula: »Nachdem wir Schusters Fotos jetzt nicht mehr brauchen, könnten wir doch gleich zu Frau Bartels fahren und anschlieÃend ins Klinikum. Was halten Sie davon?«
Da es am Budapester Platz wie so oft keinen freien Parkplatz gab, fragte sie Frau Brunner, ob es ihr etwas ausmachen würde, im Wagen auf sie zu warten. »Ich bin sofort wieder da. Das dauert ja nicht lang. Wenn Sie in der Zwischenzeit schon mal im Klinikum anrufen würden, ob dieser Pfleger, Ãberall ist sein Name, heute Dienst hat?«
Heinrich stand noch unter Kuratel. Denn die Tür im dritten Stock öffnete sich erst, nachdem sie die Parole genannt hatte.
»Wollen Sie zu Heinrich, Frau Steiner?«
»Nein, diesmal bin ich Ihretwegen da. Schauen Sie sich doch bitte dieses Foto an. Könnte das derjenige gewesen sein, der vorgestern in Heinrichs Zimmer nach Unterlagen suchen wollte?«
Es war der alten Frau anzumerken, wie sehr sie diesen Augenblick, diesen von Amts wegen bedeutungsvollen Moment der Identifizierung, herbeigesehnt hatte. Ihre Augen funkelten vor Eifer, während sie in die oberste Schublade der kleinen Dielenkommode griff und ihre Lesebrille hervorholte. Nachdem sie sie umständlich aufgesetzt hatte, stellte sie das gerahmte Foto auf die Kommode und betrachtete es eingehend. Und als sie triumphierend ausrief: »Genau, das war er, der Haderlump, der elendliche!«, funkelten ihre Augen noch lebhafter. Es war eine Mischung aus Zorn und einer gewissen Befriedigung, die die Neunundachtzigjährige derart aufflammen lieÃ.
Anna Bartels gab Paula das Bild zurück und verstaute die Brille in der Schublade.
»Und Sie sind sich ganz sicher, dass er wirklich derjenige war, der â¦Â«
»Na, hören Sie mal, Frau Steiner, ich bin
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