Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
Vom Netzwerk:
gelernt habe, ist in dieser Gesellschaft sowieso nutzlos, aber Sihong ist intelligent, ich bringe ihm alles bei, vielleicht kann ja er später etwas damit anfangen.«
    Ich konnte nur noch seufzen.
    Und dann sagte er: »Wenn er nicht zu mir heraufgekommen wäre und mit mir geredet hätte, hätte ich vielleicht schon einen Knoten in der Zunge und könnte nicht mehr reden, geschweige denn, dass ich ihm Aufgaben stellen könnte.«
    Ich sagte: »Aber Sihong ist noch so jung, du darfst ihn da nicht mit hineinziehen!«
    Da fing er an zu weinen: »Ich will lieber sterben, als irgendjemanden aus der Familie da mit hineinziehen!«
    Ich fing auch an zu weinen. An vielen Tagen, die dem folgen sollten, schickte ich abwechselnd die Kleinen mit etwas zu essen zu ihnen hinauf. Aber ich hatte ständig Alpträume, Szenen, die vor Blut nur so trieften, eine Weile von meinem Mann und meinem Bruder, eine Weile von den beiden Brüdern in ihrem Erdloch, wie sie übereinander lagen, den Leib voller Einschusslöcher, wenn ich wach wurde, war ich schweißgebadet, ein kalter Schweiß, und Hände und Füße waren verkrampft. Wie nicht anders zu erwarten, erschien die Miliz auf der Bildfläche, um herauszufinden, was da los war. Sie ließen meine Kinder antreten und zählten ab: »Da fehlt einer!«
    Ich sagte leichthin: »Der ist in aller Frühe zur Verwandtschaft, es wird dunkel, bis er zurückkommt.«
    Der Zugführer der Miliz riss die Augen auf: »Scheiß Grundbesitzer! Und warum wird mir das nicht gemeldet?«
    Ich sagte: »Ich wollte es gerade melden kommen.«
    Der Zugführer sagte: »Durchtriebenes Grundbesitzerweib, willst du mich für dumm verkaufen? Zu welcher Verwandtschaft ist dein Bastard denn gegangen? Raus damit, treibt er irgendwelche konterrevolutionäre Sauereien?«
    Als ich eine Weile keine Antwort gab, packten sie mich, banden mir mit einem dünnen Seil die Hände auf den Rücken und folterten mich brutal.
    Die Tatsache, dass in unserer Familie jemand fehlte, wurde als »Aufklärung der Feindlage« in Windeseile der Gemeinde gemeldet, und von oben kam die Anweisung: Ob alt, ob jung, ausnahmslos alles ist einer strengen Kontrolle zu unterziehen, da die armen und mittleren Bauern die Arbeit überwachen, müssen sie auch grundlegend Aufklärung schaffen über den Verbleib des Grundbesitzersohns Yang Sihong.
    An diesem Punkt war ich längst in heller Aufregung und konnte doch nicht das Geringste tun. Von uns konnte keiner in die Berge, wenn der Hunger der beiden schlimmer werden würde, würden sie sicher nicht in der Höhle bleiben können. Doch wenn sie sich sehen ließen und wenn es mitten in der Nacht war, dann würden sie womöglich eine Beute des Klassenkampfs werden. Damals habe ich noch nicht an Gott geglaubt, ich habe nur immer bei mir sämtliche Ahnen und sämtliche Götter im Himmel angefleht, meine beiden Jungs zu beschützen.
    LIAO YIWU:
    Ich kenne diese Jahre, im ganzen Land herrschte Bürgerkrieg, was auch immer man tat, den Augen und Ohren der Massen entging nichts.
    ZHANG MEIZHI:
    Außer bei der Arbeit, beim Essen und auf der Toilette wurde man ständig beobachtet; wenn wir abends schlafen gingen, wurden wir von der Miliz mit einem langen Seil an Händen und Füßen aneinandergebunden, und das Seil wurde an der Türangel festgemacht. Bei der geringsten Bewegung der Kleinen knarrte die Tür.
    LIAO YIWU:
    Aber das muss denen, die Euch beobachtet haben, doch auch unangenehm gewesen sein!
    ZHANG MEIZHI:
    Damals war das Klassenbewusstsein sehr hoch. Außerdem, wenn es ihnen auf die Nerven ging, konnten sie es immer noch an uns auslassen, denen fiel immer etwas ein, wie sie mit uns ihren Mutwillen treiben konnten. Zum Beispiel trieben sie uns gongschlagend durch die Gemeinde, brachten uns bei, wie Hunde zu kriechen, und pissten uns an. Mir ist zu Ohren gekommen, dass die Miliz darüber stritt, wer auf uns aufpassen darf, als wäre das ein fetter Job.
    LIAO YIWU:
    Ein fetter Job? Das war eine kollektive Perversion.
    ZHANG MEIZHI:
    Es war aussichtslos, niemand scherte sich um niemanden. Meine beiden Jungen drückten sich vier, fünf Tage in dem Erdloch herum, halb am Verhungern und Verdursten, sie haben ihren eigenen Urin getrunken, dann haben sie es nicht mehr ausgehalten und sind aus der Erde gekrochen. Die Miliz hatte gerade das Gebirge verbrannt, überall war verkohlte Erde, Bäume und Disteln waren kahl, es gab keinen Sichtschutz, und ausgerechnet in dieser Nacht hatten wir einen sehr hellen Mond. Die beiden tauchten

Weitere Kostenlose Bücher