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Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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drei Jahren mit den Naturkatastrophen verhungert.«
    Ich weiß nicht, warum, mich macht das bitter, also nicke ich nur: »Ich weiß, ich weiß, dabei war sie fünf Jahre jünger als ich.«
    LIAO YIWU:
    Haben ihre Eltern diesen Leuten nicht von den Zuständen während der Bodenreform erzählt?
    ZHANG MEIZHI:
    Nein, vermute ich, denken Sie, dass ein Mörder vor seinen Enkeln auf seine »damaligen Heldentaten« zu sprechen kommt? Partei wie Regierung ermutigen die Volksmassen unentwegt, »nach vorn zu sehen«. [85]
    LIAO YIWU:
    Großmutter, Ihr versteht eine ganze Menge von Politik!
    ZHANG MEIZHI:
    Mein Enkel bringt von seiner Einheit jeden Tag die Zeitungen mit, ich kann lesen, und mir wurden die Augen geöffnet. Letztes Jahr hat der Enkel, der Beamter ist, bei dem alten Hof der Familie Yang ein Dutzend Tische aufgebaut und die anderen reichen Bauern und Grundbesitzerelemente, die während der Bodenreform das gleiche Schicksal hatten wie unsere Familie, zu einem Bankett eingeladen – mehr als die Hälfte ist nicht mehr am Leben, also haben wir die Söhne und Töchter dieser unschuldigen Opfer an ihrer Stelle hergebeten. Wir haben auch einen Teil der armen und mittleren Bauern eingeladen, die sich während der unzähligen politischen Kampagnen von der Bodenreform bis zur Bewegung zur Unterdrückung von Konterrevolutionären [86] , von der Bewegung der Vier Bereinigungen [87] bis zur Kulturrevolution sich unserer Familie gegenüber halbwegs anständig verhalten haben, auch die, die sich heimlich um uns gekümmert haben, und die, die, als wir zu Unrecht angeklagt wurden, nicht brutal auf uns eingeschlagen haben. Ich habe meine Enkel vor allem gebeten, einen unserer alten Landarbeiter, den Herrn X, zu dem Bankett einzuladen und ihn neben mich zu setzen. Er ist zwei, drei Jahre jünger als ich und ein anständiger Mensch. Bei der Bodenreform haben die Arbeitsgruppen ihn wieder und wieder mobilisieren wollen, damit er uns bekämpft, aber er hat keinen Ton von sich gegeben, auf den Tod nicht. Er hat dann selber Prügel bezogen wegen unklarer Klassenlinie. Heute lege ich ihm dafür vor aller Augen die Leckerbissen auf den Teller und habe für alle vernehmlich meinen Enkel aufgefordert, einen Trinkspruch auf ihn auszubringen. Ich habe gesagt: »Das ist ein sehr alter, sehr guter Freund, er könnte dein Großvater sein! Seine Familie ist auch unsere Familie. Heute hat er zum Beispiel kein Geld, um seine Enkel und Enkelinnen an die Universität zu schicken, kannst du ihnen nicht monatlich ein wenig unter die Arme greifen? Und kannst du seiner alten Schwester nicht an der Straße einen Laden suchen, wo sie ein kleines Geschäft aufmachen kann?« Mein Enkel hat dem natürlich überschwenglich zugestimmt, und der X hat doch tatsächlich gemeint, er verdient das nicht.
    Dieses besondere Bankett hat in der Gegend hier großen Eindruck gemacht. Es waren doch ziemlich viele Leute nicht eingeladen, sie konnten nur von weitem zusehen. Wer unter fünfzig war, verstand vielleicht nicht genau, was los war, aber die Generation darüber war durchaus im Bilde. Meine Urenkel und Urenkelinnen haben dann noch ein paar Knallfrösche springen lassen, das war ein Riesenspaß. Und es passte, es passte zu dieser Selbstrehabilitierung der Familie Yang. In Richtung auf meine studierenden Enkel sagte ich: »Ich ziehe doch nicht zu viel Aufmerksamkeit auf uns?«
    Da gaben sie zur Antwort: »Großmutter, was macht Ihr Euch Sorgen? Die Vergangenheit, das war gestern, die Familie Yang ist wieder Herr im Haus!«

Der Dorfschullehrer
    Der 61  Jahre alte Huang Zhiyuan war ein Kollege meines Vaters gewesen, 1984 hatte er sich mit Kind und Kegel eigenmächtig von seiner staatlichen Anstellung entfernt, war in seine Heimatstadt Chengdu zurückgekehrt und wurde damit zu einem Vorläufer sämtlicher Wanderarbeiter, die sich keinen Deut um die Einwohnermeldeämter kümmerten.
    Der Lehrer Wang wohnte und lebte »schwarz«, musste aber trotzdem seine Familie ernähren und lebte in ständiger Sorge – es ist eine lange Geschichte, welche Höhen und Tiefen er da in vielen Jahren durchmachte. Es ist ein Glück, dass er jetzt ein im Grunde ruhiges Leben führt und sein gutes Auskommen hat. Der Ertrag aus dem kleinen Gemischtwarenladen ist nicht schlecht.
    Trotzdem, an der Universität war er umsonst. Am Nachmittag des 9 . Oktober 1998 schärfte mir mein Vater ein, seinen Kollegen, den er etliche Jahre nicht gesehen hatte, bei uns im Restaurant Ginkgo-Wald mit ein paar

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