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Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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oft mit den bloßen Händen irgendetwas ausgebuddelt, seine Fingernägel waren lang und dick geworden. So grub er sich auch unter unserem Weizenfeld einen Unterstand, den er mit Steinplatten abdeckte. Die Steinplatten bedeckte er mit Erde, und die Erde bepflanzte er mit Weizen. Das war von außen nicht zu erkennen und auch nicht zu vermuten.
    LIAO YIWU:
    Musstet Ihr für diese wiederholten Versteckaktionen nicht alle zusammenarbeiten?
    ZHANG MEIZHI:
    Eine Familie muss zusammenhalten, sonst kann sie nicht überleben. Ich wurde scharf überwacht, und wenn etwas zu essen da war (mal waren es Fladen, mal gebratene Nudeln, mal gekochte Kartoffeln, mal Mais), dann band ich das meinen Kleinen an die Beine und schickte sie damit los. Wir pflanzten über dem Erdloch auch noch alles voll mit Bambus und Sonnenblumen, die Knoten im Bambus konnte man durchstoßen und in den Stengeln der Sonnenblumen gab es natürliche Löcher, durch die Licht und Luft nach unten dringen konnten. Außerdem konnte man das Wasser in die Kallebassen hineingießen, so hatte er da drunten in seinem Loch etwas zu trinken.
    LIAO YIWU:
    Das scheint das seltsamste Gefängnis, von dem man je gehört hat!
    ZHANG MEIZHI:
    Niemand hat es je entdeckt, nach und nach hat auch niemand mehr nach ihm gefragt, und auch die Steckbriefe im Dorf verblassten langsam. Aber ich musste weiter auf Versammlungen, wurde weiter bekämpft, immer dieselben alten Anschuldigungen, etwas Neues fiel ihnen nicht ein. Herbst und Frühling gingen ins Land, die Frucht reifte, ich dachte, mein Ältester würde für immer so leben müssen, im Verborgenen. Er pulte mit der Zeit auch noch zwei Luftlöcher in den Stamm eines alten Baumes, der auf dem Boden lag, um jeder Eventualität vorzubeugen.
    LIAO YIWU:
    Aber ein Mensch ist doch kein Regenwurm!
    ZHANG MEIZHI:
    Jeder Tag ist ein Tag mehr, man darf nicht zu viel nachdenken! Mein Ältester war über zwei Jahre lebendig begraben, wenn man so will, er hatte schon ganz vergessen, wie es ist, wenn die Sonne auf- und untergeht. Das Erdloch war kalt und nass, es war so stickig, dass er überall Geschwüre bekam, die Kleider verfaulten und fielen ihm schließlich von den Gliedern, am Ende hatte er keinen Faden mehr am Leib. Einmal schlich ich mich in die Dunkelheit und wartete, bis sich neben meinem Fuß langsam ein Loch auftat und der Kopf meines Sohns sich wie ein Holzpflock aus der Erde schob. Mich schauderte, ich bückte ich mich zu ihm hinunter, und dann lagen wir uns in den Armen. Ach, da war er also, mein begabter Büchernarr. Außer einem Grasschurz, den er sich um die Hüften gebunden hatte, hatte er keinen Faden am Leib, außerdem war er abgemagert bis auf die Knochen.
    LIAO YIWU:
    Das war wie die Begegnung zweier Welten, der Ober- und der Unterwelt.
    ZHANG MEIZHI:
    Was für eine Sünde hatte er nur begangen, dass er zu einem Gespenst werden musste? Er war so groß gewachsen und jetzt leicht wie ein Balsarholz, ich hätte ihn hochheben können, so leicht war er. An ihm war nicht ein Gran Fleisch, seine Haut war rau, die Härchen an seinem Körper waren einen halben Finger lang, sie waren dünn und weiß wie bei schimmligem Tofu. Vor allem die Haare auf seinem Kopf hingen ihm wie ein alter Jutesack bis auf die Hüften, ich kämmte mit den Fingern hindurch, und nach ein paar Minuten fielen die Läuse wie Sesamkörner zu Boden. Einer Mutter bricht so etwas das Herz. Ich ertrug es nicht und fing an zu schluchzen, aber der Junge hielt mir schleunigst den Mund zu und schaute mit funkelnden Augen in alle Richtungen. Gott sei Dank war es gegen Herbst, der Mais stand hüfthoch, und wir beiden hockten auf der finsteren Erde, wir waren nicht zu sehen.
    Ich hatte noch gar keine Zeit gehabt, ihm zu geben, was ich zu essen mitgebracht hatte, als er mich auch schon mit äußerster Ungeduld abtastete. Die Süßkartoffeln, die gebratenen Nudeln, was ihm in die Hände kam, stopfte er sich in den Mund und würgte es hinunter, dabei rasselte sein hochgereckter Hals wie der Schwanz einer Klapperschlange. Seltsamerweise schluckte er das alles trocken hinunter, er trank nicht einen Tropfen Wasser, man sah, wie der Kloß seinen Hals hinunterwanderte. Erst als er sich den Bauch so halbwegs vollgeschlagen hatte, duckte er sich auf alle viere, wie ein Tier, huschte mit einem Satz zu einem Wassergraben, der zehn Meter weiter war, dort duckte er sich wieder und trank.
    Als ich das mitansah, wusste ich nicht, was ich sagen sollte, außerdem wagte ich nicht, mich

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