Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
aus der Erde auf wie Mäuse, sie spähten in alle Himmelsrichtungen und krochen dann, einer hinter dem anderen, zum Wassergraben. Als sie sich satt getrunken hatten, knurrte ihnen der Magen noch mehr, also hockten sie sich auf alle viere und sprangen auf ein anderes, keine hundert Meter entferntes Feld, dort kauerten sie sich auf die Erde und buddelten Süßkartoffeln aus. Sie fanden zwei große Exemplare, wischten die Erde ab und fingen an, an ihnen zu kauen, dann gruben sie weiter. Sie hielten sich dort keine Viertelstunde auf und schafften eine große Ladung Süßkartoffeln in ihre Höhle zurück, nicht ohne das Schlachtfeld vorher gründlich aufzuräumen.
So hockten sie da drin noch vier, fünf Tage, und weil das erste Mal nichts passiert war, wurden sie beim zweiten Mal schon etwas mutiger. Der Älteste sagte, der Hase frisst nicht an seinem Bau, wir laufen am besten ein bisschen weiter. Also trabten die beiden wie wilde Tiere ein paar Felder weiter. Aber in dieser Nacht schien der Mond sehr hell, es stach richtig in die Augen. Sie waren schon gewöhnt, keine Kleider anzuhaben, deshalb rollten sie mit den frischen Süßkaroffeln einen Erdhügel hinunter. Dort lagen sie dann, Kopf an Kopf, und schnauften. Und es schmeckte ihnen zu gut, sie dachten nicht daran, wie weit das in so einer stillen Nacht zu hören war, und sie dachten nicht daran, dass sie beim ersten Mal ja Spuren hinterlassen hatten und dass es aufgefallen war, dass Süßkartoffeln verschwunden waren.
Die Milizsoldaten, die abwechselnd schon ein paar Nächte auf der Lauer lagen, hatten sie schon im Visier, als plötzlich jemand brüllte: »Das sind Gespenster!«
Die beiden schreckten hoch, verdrehten den Kopf und wollten sich davonmachen, als Schüsse knallten. Sie stoben auseinander wie Vögel aus einem Felsspalt.
Der erste Schuss zischte dem Älteren am Ohr vorbei und schlug staubend irgendwo in den Boden ein. Der Jüngere schrie: »Es ist alles aus!«, stürzte sich auf seinen Bruder und riss ihn zu Boden. Der zweite Schuss knallte und riss ihm ein großes Loch in die Schulter. Dann folgte ein wahlloses Geballere, sein Kopf flog auseinander und Gehirn spritzte herum, dem Älteren über Hals und Gesicht. Es dauerte lange, bis die Schießerei eingestellt wurde. Die Miliz umstellte sie mit rauchenden Gewehren, sie beugten sich mit Taschenlampen zu ihnen hinunter, um zu sehen, wer sie waren. Da erst stellten sie fest, dass sie den so lange spurlos verschwundenen zwölfjährigen Sohn des Grundbesitzers zu Brei geschossen hatten, er lag auf seinem Bruder, dem Wilden.
Sie banden die beiden aneinander, den Toten an den Lebenden, und zerrten sie an einem Seil den Berg herunter. Zurück im Dorf machten sie den Toten los und hängten den Älteren an Eisenfesseln an die Decke des Gefängnisses. Das ganze Dorf war in heller Aufregung, Alt und Jung sah die halbe Nacht kein Bett, sie kamen aus ihren Türen und gafften. Ich zitterte am ganzen Leib, ich war wie von Sinnen.
Am nächsten Tag gab es unter großem Gegonge eine amtliche Bekanntmachung, in einem Umkreis von hundert Meilen brodelte es. Am darauffolgenden Tag gab es eine Gemeindevollversammlung, der konterrevolutionäre Wilde wurde auf der Theaterbühne vorgeführt, ein Auftritt vor den Massen, über zehntausend Leute, unsere ganze Familie wurde da hinaufgezerrt. Da er über zwei Jahre keine Sonne mehr gesehen hatte, stand mein Ältester da und konnte die Augen nicht aufmachen, er war stockblind, es dauerte fast eine Woche, bis er eine menschliche Gestalt wieder verschwommen wahrnehmen konnte.
HIER WARF
YANG SIYI,
IHR FÜNFTER SOHN, EIN:
Ich bin 1949 geboren, als das alles geschah, war ich erst fünf, aber ich habe meinen großen Bruder das erste Mal bei dieser Massenveranstaltung gesehen, in diesem Zustand. Seine Haut und sein durch den Dreck gezogenes Haar waren aschweiß. Sein Mund war spitz, seine Zähne standen vor. Wenn ich ihn früher nachts gesehen hatte, war er mir nicht wie ein Gespenst vorgekommen, aber jetzt war er wirklich ein lebender Toter, er tat mir so leid. Von allen Seiten wurde er mit Steinen beworfen, er wurde angespuckt, man zerrte ihn an den Haaren, keiner hatte ein Herz, aber mein anderer Bruder hatte ihm mit seinem Tod das Leben gerettet.
LIAO YIWU:
War er nicht in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden?
YANG SIYI:
Die Bodenreform war vorbei, die Politik war etwas offener, man konnte in den Gemeinden und in den Kreisen nicht mehr so mir nichts dir nichts die Leute
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