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Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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hinrichten. Deshalb haben sie ihn zu lebenslänglich verurteilt und fast dreißig Jahre nach Kunming geschickt, ins Provinzgefängnis Nummer 1 von Yunnan, zur Umerziehung durch Arbeit. Wir alle, samt meiner Schwägerin, haben erst in den achtziger Jahren wieder Kontakt mit ihm gehabt, wir wussten, dass er nach Verbüßung seiner Strafe in der Maschinenfabrik arbeitete, sie lag Wand an Wand mit dem Gefängnis.
    DA WARF DIE TOCHTER
YANG SIXIAN
EIN:
    Als wir getrennt wurden, war ich erst sieben, als wir uns wiedersahen, war ich fünfunddreißig und Mutter von drei kleinen Kindern. Die Kleine habe ich noch gestillt, mit ihr im Arm fuhr ich ein, zwei Tage in einem Überlandbus nach Kunming. Ich fragte stundenlang herum, und es wurde schon dunkel, bis eine gnädige Seele mir einen Hinweis gab und ich meinen mittlerweile fünfzig Jahre alten Bruder wiedersah – er wusch sich gerade die Füße, und als er jemand Fremdes sagen hörte, sie sei seine Schwester, war er auf einmal ganz durcheinander; er sprang auf und stieß das Waschwasser um.
    Schauen Sie, Herr Liao, dieses Foto haben wir am nächsten Tag gemacht, mein großer Bruder hat noch die Umerziehungsuniform an, im Arm hält er seine kleine Nichte, er hat gelächelt, was sehr selten war.
    Meine Schwägerin, also seine Frau, hatte nicht wieder geheiratet, als er entlassen wurde, haben sie noch über zwanzig Jahre zusammengelebt, aber Nachwuchs haben sie keinen. Vor zwei, drei Jahren hat er es an die Nieren gekriegt und war ganz entkräftet, aber er ist nicht gern gegangen; seine Frau lebt immer noch bei uns, sie erträgt die Dunkelheit nicht, sie schläft schon.
    LIAO YIWU:
    Kann ich sie morgen sehen?
    YANG SIXIAN:
    Sehen schon, aber keine Fragen stellen. Sie ist eine moderne Mengjiang [84] , sie hat ihr Leben unter Tränen verbracht.
    ZHANG MEIZHI:
    Ich habe in meinem Leben zu viel durchgemacht, ich habe mich dreingegeben, dass ich über achtzig Jahre alt geworden bin, kann ich selbst nicht glauben. Ich habe mich ein dutzend Mal von einem lieben Menschen für immer verabschieden müssen, das macht einen ganz stumpf, und so kann ich weitermachen, bis zum Ende, sinn- und bewusstlos. Dutzende von politischen Kampagnen, hunderte von Kampfkritiken, die wahnwitzigsten Strafen … Ich einfache Hausfrau habe alles erlebt. Doch es mag sein, wie es will, ich danke dem Herrn, dass ich noch lebe. Früher habe ich mich dafür gehasst, dass ich nicht längst tot war und weil meine Kinder alle in diesen Klassenkram verwickelt wurden. Ich war nur auf einer Dorfschule, ich konnte nicht auf die Mittelschule, wir hatten auch nicht das Geld. Und ohne Bildung bist du in jeder Dynastie aufgeschmissen, ich dachte, es wäre vorbei, nach so vielen guten Generationen wäre es vorbei. Wenn man von einer Kommunistischen Partei und von einem Vorsitzenden Mao ständig gehetzt und verfolgt wird, hätten vielleicht nicht einmal mehr Ratten noch Junge gekriegt. Die Stammbäume und Ahnentafeln der ganzen Familie sind verbrannt, und was die armen und mittleren Bauern nicht durchsucht haben, das habe ich selbst durchgesehen, um jedes weitere Unheil abzuwenden. Ach, was für ein Alptraum!
    LIAO YIWU:
    Hasst Ihr die Menschen, die so mit Euch umgesprungen sind?
    ZHANG MEIZHI:
    Bei so einer großen Umwälzung? Wen sollte ich da hassen? Der allmächtige Herr im Himmel tröstet uns, er lehrt uns, unsere Feinde mit Vergebung zu strafen. Meine Söhne haben keine normale Erziehung bekommen, aber bei den Enkeln ist alles ganz anders, ein paar sind an der Universität, wenn sie fertig sind, bleiben einige zum Arbeiten in Kunming, die anderen werden freiwillig in ihre Heimat zurückkommen und sie werden, genau wie ihre Ahnen, die Gebildetsten und Vielversprechendsten im Umkreis von hundert Meilen sein, sie werden im Dorf und in der Gemeinde etwas Großes bewirken, man wird auf sie nicht verzichten können. Einer meiner Enkel ist sogar Beamter, und die Nachkommen der armen und mittleren Bauern, die uns vor ein paar Jahrzehnten in den Tod trieben, die stehen bei uns vor der Tür und machen sich lieb Kind, ständig nennen sie mich »Großmutter«, mich, das alte Grundbesitzerweib. Ich höre schlecht, ich verstehe sie nicht gut, dann kommen sie näher und schreien es mir ein paar Mal ins Ohr.
    »Ach wo!«, gebe ich dann zur Antwort und frage lachend: »Und was ist mit eurer eigenen Großmutter?«
    Dann sagen sie: »Sie ist nicht so alt geworden, sie hat es nicht so gut getroffen. Sie ist schon lange tot, sie ist in den

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