Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
hatte: »Der Hang ist reichlich steil, und auch die Ackerwege sind nicht ausgebessert. Die jungen Leute haben sich lange sehr hart vorbereitet, aber es wird nicht so leicht sein, die Weltanschauung der Menschen zu verändern, wie es in den Filmen aussieht.«
LIAO YIWU:
Sie haben an diesen bitteren Ort auch noch angenehme Erinnerungen, zumindest war der Schmiedesekretär ganz in Ordnung. Herr Lehrer, ich habe das Gefühl, Sie sind ein Vorreiter der sogenannten jungen »Volunteers« in den neunziger Jahren. Das sind Talente aus allen möglichen Berufen gewesen, die sich aus freien Stücken als Lehrer für die ärmsten und härtesten Berggegenden bewarben und für ein oder zwei Jahre das Leben dort kennenlernen wollten.
HUANG ZHIYUAN:
Was soll das für einen Sinn haben? Die Bergregionen Chinas sind und waren nicht umzugestalten, egal, wie viel Geld man investiert, am Ende war alles nur ein Trugbild auf dem Wasser. Nichts als kahle Bergrücken, einer am anderen, da kannst du einen halben Tag herumlaufen, es ist immer dasselbe, ermüdend für Füße und Augen. »Bäume anpflanzen, um reich zu werden«? Sie können hier nicht überleben, und wenn doch, dann halten die Leute es nicht aus, so eine Dummheit werden die Bauern nicht machen. Kein Mensch will sein Leben lang nur braune Erde vor Augen haben, wer weg kann, macht, dass er wegkommt. Wer in unserer Zeit der schriftlichen Prüfungen von zu Hause weg will, der braucht ein Zeugnis, und wer das nicht wagt, der lernt kennen, was Hunger heißt, da mag er Getreide pflanzen oder nicht. Deng Xiaoping hat das alles belebt, die Schlammfüßler sind weiter herumgekommen und waren aktiver als wir.
LIAO YIWU:
Haben Sie den Roman von Li Rui gelesen, einen Schriftsteller aus Shanxi? Das Lüliang-Gebirge ist so ein bitterer Ort, aber die Bauern fühlen sich mit ihrer Scholle verbunden.
HUANG ZHIYUAN:
Alles aus den Fingern gesogen. Schriftsteller haben sich noch in jeder Dynastie irgendetwas aus den Fingern gesogen, weil Bauern ihre Romane doch nie gelesen haben. Sie wissen ja nicht, was so ein Schriftsteller sich alles ausdenkt. In der Kulturrevolution war der Roman »Strahlender Himmel« von Hao Ran [88] sehr in Mode, und dann auch noch »Die Frühlingsflut« von Ke Fei [89] , alles sehr rührend, was da drin steht. Aber um die Wahrheit zu sagen, nicht ein einziger chinesischer Bauer liebt sein Land, wer will schon gerne Generation für Generation den Boden beackern? Sobald sich eine Möglichkeit bietet, bei der mehr Geld herausspringt, laufen sie von ihrem Land davon. Überall ist Kahlschlag, das Wasser kann man nicht mehr trinken, bald sind auch die Menschen weg – in Chengdu und in Mian-yang habe ich zufällig ein paar meiner Schüler getroffen, sie sind Beamte, Business-Leute, Arbeiter, sogar Kulis, manche hatten Glück und manche hatten Pech, aber sie alle hatten einen Traum: weg vom Land. Einmal, ich fuhr gerade im Gebiet der Mühlbrücke ein Fahrrad mit Beiwagen, illegaler Personentransport, du weißt schon, da stieß ich auf einen Wagen der städtischen Steuerfahndung, zum Abhauen war es zu spät, sie nahmen mir mein Vehikel ab und luden es auf ihren großen LKW . Ich war so verzweifelt, dass mir schwarz vor Augen wurde. Ich hockte mich an den Straßenrand und überlegte, womit ich mir nun meinen Lebensunterhalt verdienen sollte, als mir von hinten jemand auf die Schulter schlug. Ich wandte mich um und sah einen dicken Boss, der mich mit Herr Lehrer Huang ansprach. Ich hatte schon ganz vergessen, dass ich einmal Lehrer gewesen war, deshalb hatte ich auch keine Idee, wer mein Gegenüber hätte sein können.
Der dicke Boss zerrte mich in einen Nachtklub, wo wir uns hinsetzten und er sich vorstellte. Er war der Zweitälteste des Schmiede-Sekretärs aus Shanya, Klasse 8-0 aus der Unterstufe der Mittelschule, ich war drei Jahre lang sein Klassenlehrer gewesen. Dann war er in der Kreisstadt auf die höhere Schule gegangen und nach Mianyang auf die Fachhochschule, weiter wusste ich nicht. Ich schaute mir seine Visitenkarte an und da stand, dass der kleine Lümmel von einst mittlerweile Manager des Nachtklubs war, in dem wir saßen.
Der Sohn des Schmiede-Sekretärs redete viel von den alten Zeiten, er bot mir etwas zu trinken an, er telefonierte mit der Stadtverwaltung und versuchte, mein beschlagnahmtes Gefährt zurückzubekommen. Der Kleine kannte die verwegensten Mittel und Wege, und er vertrug eine Menge. Im Nu war eine Flasche Rotwein leer, er hatte einen in der Krone
Weitere Kostenlose Bücher