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Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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welchem Grund sollte ich also strafbare Motive zugeben? Um darauf zurückzukommen, alle Chinesen sind wie ich, ich bin keine Ausnahme, wir bleiben, wo wir bleiben wollen, wir gehen, wenn wir gehen wollen, in der »Internationalen Arbeitervereinigung« wurde das schon früh umgesetzt. Wenn sie uns ließe, hätte auch die Regierung weniger Verantwortung. Ich finde, man sollte eine breite Straße bauen, von der Mongolei durch das Gebiet der früheren Sowjetunion bis direkt nach Europa hinein, niemand müsste sich kümmern, man könnte einfach gehen …
    LIAO YIWU:
    Na gut, wir wollen nicht debattieren. Wo waren wir stehen geblieben?
    LI YIFENG:
    Ich machte mich schnell auf den Weg. Nur verdammt, es gab überhaupt keinen Weg mehr. Ich stolperte und kroch im Gebüsch herum, wo ich einen Abhang sah, stürzte ich mich hinunter. Als ich meine Uhr herausholte, war es ganze sechs Stunden später. Ich musste irgendwie den Berg hinunterkommen, aber der Menggu, der in weiter Ferne zu sehen gewesen war, war, wer weiß wohin, verschwunden.
    Ungefähr hundert Meter rechts vom Gebüsch tauchte ein dichter Dschungel auf, wenn man erst einmal da drin war, fand man sicher nicht mehr heraus. An was, glauben Sie, habe ich da gedacht? An den alten Film »Die Glocken der Pferdekarawane in den Bergen«, der von Räubern und Schmugglern erzählt und ungefähr in dieser Gegend spielt. Ich bin auf keine geheimnisvolle Pferdekarawane gestoßen, keinen Schwanz habe ich getroffen, aber auf einmal fiel mir das ganze Zeug ein, das ich vor dreißig Jahren einmal gesehen hatte, und die Gegend kam mir gleich viel bekannter vor.
    »Als du am Morgen nach den anderen gesucht hast, bist du da vom Weg abgekommen?« Dieser Gedanke konnte einem schon einen Schauer über den Rücken jagen, aber wirklich die Haare stellt es einem auf bei dem dröhnenden Ruf: »Keine Bewegung!«
    LIAO YIWU:
    Auf Birmanisch?
    LI YIFENG:
    In bestem Hochchinesisch.
    LIAO YIWU:
    Sind Sie denn so weit im Kreis gegangen, dass Sie wieder zurück waren?
    LI YIFENG:
    Ich hatte keinen Schimmer, mein Kopf dröhnte, ich begann am ganzen Körper zu zittern, und als auch noch meine Knie versagten, warf ich mich zu Boden. Ich zitterte so, dass ich nicht einmal ruhig knien konnte, dabei war kein Mensch zu sehen. Ich hob deshalb mit letzter Kraft den Kopf und sah auf, da wurde wieder gebrüllt: »Hände hoch! Kopf nach unten! Waffen her!«
    LIAO YIWU:
    War das Grenzschutz?
    LI YIFENG:
    So was Ähnliches schon, nur die Uniformen waren abgenutzter. Lachen Sie ruhig, aber ich hatte mir vor Schreck in die Hosen gemacht, zwischen meinen Beinen stank es scheußlich nach Pisse. Mir wurden die Augen mit einem schwarzen Tuch verbunden, die Hände vorne gefesselt, und dann wurde ich von irgendjemandem wie ein Blinder vorwärts gezerrt, während sich gleichzeitig ein Gewehrlauf hart in meinen Rücken bohrte. Als mir das schwarze Tuch endlich abgenommen wurde, war es bereits dunkel. Ich fand mich in einer Höhle wieder, um mich herum eine Gruppe von Soldaten in chinesischen Uniformen aus den 70 er Jahren.
    Ich wurde nackt ausgezogen und vor einen Tisch gestoßen, über mir baumelte eine helle Röhrenlampe, und ein ganzes Stück hinter dem Vernehmungsoffizier am Tisch schien es noch viele weitere kleine Höhlen zu geben. Der Offizier fragte: »Name? Beruf? Alter? Einheit? Warum bist du hier? Zum Schmuggeln oder aus politischen Gründen? Wie viele Komplizen gibt es? Beantworte eins nach dem anderen.«
    In dieser Situation blieb mir gar nichts anderes übrig, als alles zu beantworten.
    LIAO YIWU:
    Waren sie nun vom Grenzschutz?
    LI YIFENG:
    Nein, von keiner Seite des Grenzschutzes. Sie gehörten zu den Partisanen der Volksarmee und der KP von Myanmar. In den sechziger und siebziger Jahren gab es dort einen kurzen Boom, der das Grenzgebiet von Myanmar fast vollständig erfasst haben soll, das waren über eine ganze Reihe von Militärbezirken verteilt gut hunderttausend Leute. Inzwischen war alles unter dem Einfluss weltweiter Trends und der Hoffnungslosigkeit unter den Roten Khmer ziemlich heruntergekommen.
    LIAO YIWU:
    Sie sind von der Volksarmee geschnappt worden? Dann war ja wirklich alles umsonst gewesen.
    LI YIFENG:
    Ich war vom Weg abgekommen, das war mir noch nicht bewusst, als ich, ohne es zu bemerken, blindlings in die Nähe eines Lagers der Partisanen geraten war. Erst später wurde mir klar, dass ich schon über zehn Meilen über die Grenze weg war, ich hatte es fast geschafft. So eine Scheiße! Noch

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