Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
sein.
LI YIFENG:
Scheiße, ja! Mir war, als hätte ich geträumt! Und der Preis für diesen Traum sollte nun eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren sein. Sehen Sie sich mein Gesicht an. Auf der einen Seite ist es länger als auf der anderen, das Kinn ist schief. Von den Prügeln, die ich nach meinen verschiedenen Grenzübertritten bezogen habe, ein Andenken für die Ewigkeit. Aber es reizt eben auch, erst dann hat man gelebt!
Einmal wurde ich mit einem langen Seil an einen Handtraktor gebunden und musste hinter ihm her durch den Dschungel laufen, bis Kleidung und Hose so zerrissen an mir hingen, dass ich wie eine Bürste aussah. Damals beneidete ich die schwarzen Sklaven aus den Filmen, wie sie an Holzstangen gebunden zum Verkauf geboten wurden, wie die Käufer auf den Märkten das Recht hatten, um sie zu feilschen und sie als Sklaven mit über das Meer zu nehmen. He, das Leben eines Sklaven! Ein romantisches Leben, heute hier, morgen dort! Verdammt, ich musste mich jetzt selbst verkaufen, damit ich nicht weiter alles versuchte, um über die Grenze zu kommen.
Auf dieser Welt ist Freiheit am schwersten zu bekommen. Wenn du verhungerst, kümmert sich niemand darum, wenn du aber woanders hin willst, deine Lebensweise verändern willst, dann kümmert man sich um dich. Europa, Amerika und Australien gelten als demokratische und freiheitliche Länder, und doch erlauben sie den Menschen nicht, nach Wunsch hinzugehen. Ohne Geld und ohne konkrete politische Gründe kannst du tausend Mal betonen, wie sehr du die Freiheit liebst, es hilft nichts. Beschissene Scheinheiligkeit.
LIAO YIWU:
Als Sie die zwei Jahre Gefängnis abgesessen hatten, waren Sie wahrscheinlich aus Ihrem Traum erwacht. Ich denke, Myanmar ist noch viel schlimmer als China. Wenn Sie die Grenze erfolgreich überquert hätten und Sie wären in Rangun oder in einem südostasiatischen Nachbarland als Illegaler geschnappt worden, wäre das denn nicht noch schlimmer gewesen?
LI YIFENG:
Ich bin noch nie in einem ausländischen Gefängnis gesessen, woher soll ich wissen, wie schlimm es dort ist? Ein Freund von mir, ein Dichter, saß aber schon einmal in einem. Er ist denselben Weg gegangen wie ich und in Myanmar von einem Einheimischen angezeigt worden. Er kam in ein Regierungsgefängnis, und he, dieser Kerl wurde ausgerechnet mit einem Mitglied des Zentralkomitees der KP Myanmar in dieselbe Zelle gesperrt. Nach nicht einmal einem Jahr konnte er Englisch und Birmanisch. Außerdem erfuhr er eine ganze Menge Geheimnisse der KP Myanmars. Klar waren das alles Geheimnisse, die ihm nichts nutzten.
LIAO YIWU:
Sie wären auch gerne durch eine solche Schule gegangen?
LI YIFENG:
Ich hatte nicht das Glück, wozu es wollen. Bei meinem Freund war das anders. Er war nicht nur Zellengenosse des Zentralkomiteemitglieds, er wurde auch von den Verantwortlichen im Gefängnis vergessen. Niemand verhörte ihn, niemand antwortete ihm, wenn er nicht eines Tages plötzlich lauthals losgebrüllt hätte, wäre er dort drinnen verfault.
LIAO YIWU:
Jeder Dummkopf wäre auf die Idee gekommen zu brüllen.
LI YIFENG:
Zu brüllen schon, aber der hat in drei Sprachen, Chinesisch, Englisch, Birmanisch, geschimpft und geflucht, bis sich sein Schicksal drehte und er als Arbeiter nach Europa exportiert wurde, wo er sich später in Dänemark niedergelassen hat. Ich weiß von keinem anderen illegalen Grenzgänger, der so ein Glück hatte wie er.
LIAO YIWU:
Das klingt wie eine Geschichte aus »Tausendundeine Nacht«.
LI YIFENG:
Was ich Ihnen erzähle, ist aus »Tausendundeine Nacht«, denn in friedlichen Zeiten gibt es nichts Aufregenderes, als illegal über die Grenze zu gehen.
LIAO YIWU:
Sie sagen das so, sind illegale Grenzübertritte für Sie zur Sucht geworden?
LI YIFENG:
Ich hab’s wenigstens vier, fünf Mal gemacht. Aber am dramatischsten war das, was ich gerade erzählt habe. Die anderen Erlebnisse sind langweiliger, erfolglos war ich immer, aber man muss nur in den Verhören klare Auskünfte geben, dann erhält man im allgemeinen eine Geldstrafe und das war’s. Da ich das Geld nicht hatte, musste ich einige Monate in Haft. Das letzte Mal im vergangenen Jahr, ich dachte, Hongkong würde bald wieder zu China gehören, da sollte der Grenzschutz nicht mehr so streng sein. Ich gab ein paar Zehner aus, kaufte in Guangzhou einen falschen Personalausweis und schlich mich nach Shenzhen rein.
Ich wollte mir vor allem die berühmte Einkaufsstraße, die Chongying Straße zwischen
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