Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Luft, ich lade Sie zu einem Mitternachtsimbiss ein.
    FRÄULEIN WANG:
    Wollen Sie woanders ein Zimmer mieten? Mein Herr, passen Sie auf, hier lief eine Zeitlang eine sogenannte Säuberung gegen Pornographie! Polizei und Vereinigte Abwehr von Armee und Volk machen in bestimmten Abständen Patrouillengänge, sie legen Netze aus und kontrollieren, ob die Leute von außerhalb auch eine vorübergehende Wohngenehmigung haben. Am besten noch nehmen Sie ein Zimmer in einer Kneipe, das ist sicherer, die Preise sind am niedrigsten, und man kann noch einen Rabatt herausschlagen. Die Wirtschaft boomt einfach nicht, ein Drittel der Nachtclubs in dieser Straße ist schon eingegangen.
    LIAO YIWU:
    Sie haben aber einen ausgeprägten Geschäftssinn … heute Abend habe ich schon ein paar hundert für das Séparée bezahlt, über zweihundert für Alkohol, einhundert für die Bühne und dreihundert für Trinkgeld – das macht insgesamt an die tausend Yuan.
    FRÄULEIN WANG:
    Sie sind ein Big Boss, da hat einer ein Séparée. Wenn Sie sich ungerecht behandelt fühlen, rufe ich noch ein Mädchen, und wir vergnügen uns zu dritt. Wenn die Stimmung gut ist, zahlen Sie einfach soviel, wie es Ihnen wert ist. In den Zeitungen wird oft das Berufsethos herausgestrichen – das Berufsethos in unserem Gewerbe liegt darin, alle Wünsche unserer Kunden zu befriedigen. Mein Herr, ein Lied wäre umsonst, wollen Sie wirklich nicht einmal ein Lied singen? Ich mag besonders den »Olivenbaum« von Qi Yu, »frag nicht, woher ich kam, meine Heimat ist weit«, das passt zu uns leichten Mädchen.
    LIAO YIWU:
    Ich habe Karaoke schon immer gehasst, diese von den Japanern erfundenen postmodernen Vergnügungsformen pfropfen jedes Lied der Welt auf den gleichen Rhythmus, auf diese Weise wird noch aus dem dümmsten Schwein ein Schlagerstar.
    FRÄULEIN WANG:
    Sie schimpfen? Hihi, der geniert sich nicht! Wenn ein Boss wie Sie so heroisch draufkommt, dann passt das zu einer traditionellen Opernarie, ich stelle den Begleitrhythmus ab und summe mit, wie wär’s?
    LIAO YIWU:
    Jetzt zeigen Sie zum ersten Mal so etwas wie Gefühl, trotzdem, zu den klassischen Mädchen vom blauen Pavillon fehlt noch viel. In einem Gedicht des Tang-Dichters Du Mu heißt es:
    Jiangnan, vom Glück verlassen,
    Wein und Wandern ohne Rast
    Ranke Leiber, Schwalben auf der Hand, so sacht
    Zehn Jahre Yangzhou-Träume und dann aufgewacht
    Selbst für blaue Pavillons ein treuloser Gast.
    Das bedeutet ungefähr, dass ein Dichter, den das Glück in der Beamtenlaufbahn verlassen hat, seine Tage damit zubringt, in Jiangnan von Bordell zu Bordell zu ziehen, wo er schöne Mädchen trifft, die so leicht sind, dass sie auf seiner Handfläche tanzen könnten. So gehen wie im Traum zehn Jahre ins Land, und dieser berühmte Freier, der so viele intime Wünsche enttäuscht hat, ist unversehens alt geworden. Er beginnt zurückzudenken und klagt über die Unbeständigkeit des menschlichen Lebens. Natürlich wird ein Mädchen wie Sie mit seinen zwanzig Jahren, das mit drei Dienstleistungen beschäftigt ist, keine Tang-Gedichte lesen, aber die Fernsehspiele in alten Kostümen werden Sie gesehen haben? Die in der Kaiserstadt berühmte Kurtisane Li Shishi aus den »Räubern vom Liangshan-Moor« [117] beherrschte das Zitherspiel, spielte Schach, konnte kalligraphieren und malen, Li Xiangjun aus dem »Pfirsichblütenfächer« [118] rezitierte Gedichte und schuf Gemälde. Wenn man ein wenig Bildung hat, hat man mehr Möglichkeiten, aus dem Milieu herauszuheiraten.
    FRÄULEIN WANG:
    Sie träumen am helllichten Tag … Entschuldigung, aber ich meine, man darf die Sachen in den Büchern und auf der Bühne nicht für bare Münze nehmen. Diese Mädels da aus den alten Zeiten, von denen Sie gerade gesprochen haben, an denen hätte womöglich nicht einmal Chen Xitong [119] sein Vergnügen gehabt.
    Natürlich vergnügen sich die hohen Tiere auch auf einem höheren Niveau als wir, aber worin ist dieses Niveau höher? Das Fleisch der Mädchen, ihre Figuren, ihre Brüste und Gesichter sind von höherem Niveau. China ist ein Bauernland, China hat 1 , 5 Milliarden Einwohner und die wollen arbeiten und essen – die Mädels aus Ihren Büchern scheinen nicht gegessen zu haben, sie zitieren Gedichte, zupfen an ihren Zithern herum und werden satt.
    Mein Herr, ich will Sie nicht auf den Arm nehmen, aber überlegen Sie mal, selbst wenn ich Gedichte und Bilder und Zither könnte, ich hätte nicht die Gäste, die Geduld genug hätten,