Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
glühenden Fingern zaghaft über mein Gesicht floss und mich ständig in der Magengrube kitzelte. Da tat ich so, als wäre ich noch am Schlafen, streckte aber auch die Hand aus und tastete nach ihr, es war wie im Traum. Sie hatte dicke Zöpfe, große Augen, lange Wimpern, und ihre Haut war sehr glatt. Am Ende haben wir uns ganz fest in den Arm genommen. Ich habe die Erhu nie besser gespielt als in dieser Zeit, es war, als ob ich gar nicht selber spiele, als ob jemand anderes in mir und außerhalb von mir spielt, in der Musik, die da kam, konnte ich meine Geliebte »sehen«, es war sehr, sehr schön, es musste herrlich sein, mit ihr durch die Welt zu gehen!
LIAO YIWU:
Haben Sie geheiratet? Haben Sie Kinder?
BLINDER:
Wir haben eine Beziehung gehabt. Aber in den Zeiten damals war es ein Verbrechen, eine Beziehung zu haben, ohne verheiratet zu sein. Die leitenden Beamte überlegten, dass man uns als Krüppel nicht bestrafen konnte, also haben sie sie immer wieder zur Abtreibung gezwungen, und dann haben sie es vertuscht, damit das keinen schlechten Eindruck bei den Massen macht. Wir verlangten eine Heiratsurkunde, der leitende Beamte sagte, das entspreche nicht den Gepflogenheiten, da müsste zur Untersuchung dieser Frage eine Versammlung abgehalten werden. Sie haben ein paar Mal getagt, aber am Ende haben sie die Sache nicht weiter »untersucht«, aber sie war wieder schwanger.
Dann kam auf einmal die Kampagne gegen Rechtsabweichler, der leitende Beamte, der gute Kerl, wurde Gegenstand der Kritik, die Massen zeigten ihn an, von wegen, den Bauch meiner Schülerin habe er dick gemacht, warum sonst hätte er uns so energisch dabei helfen sollen, unsere Schande zu verdecken? Wir bekamen keine Hochzeitsurkunde, ich musste ein paarmal eine Kampfkritik über mich ergehen lassen und wurde zum verkommenen Subjekt erklärt. Ein Glück, dass ich blind war, sonst hätten sie mich längst umgebracht gehabt. Und meine Gefährtin wurde entsprechend von ein paar Leuten zur Abtreibung gezwungen, zum verkommenen Subjekt erklärt und dazu noch zur Feudalistin, Kapitalistin und Renegatin.
LIAO YIWU:
Und später?
BLINDER:
Später sind wir auseinander. Das ist das Leben, Ihr kennt das, nach heutigen Begriffen ist es doch besser, wenn Blinde sich mit Blinden zusammentun, nicht wahr? Damit wird ein gesellschaftliches Problem gelöst. Aber in der Zeit damals war China wie eine Familie, alles, Essen, Trinken, Abfall, Kinderkriegen, alles hing von der Partei ab, und wer nicht organisiert war, suchte die Stadtverwaltung auf und die Nachbarschaftskomitees. Natürlich waren die drei Jahre mit den Naturkatastrophen eine Ausnahme, die Partei war nicht mehr in der Lage, sich um alles zu kümmern, da sind auch eine ganze Menge Parteimitglieder verhungert. Meine Liebste ist 1961 gestorben. Eine Sünde.
LIAO YIWU:
Finden Sie das Leben heute offener als damals? Liebe und Zusammenwohnen sind kein Problem, kein Mensch verlangt von einem Straßenmusiker eine Lizenz oder Steuern.
BLINDER:
Wer zahlt an wen Steuern? Die Gesellschaft sollte an mich Sozialhilfe zahlen, das ist es. Ich wurde von der Arbeit freigesetzt, »aufgrund von Umstrukturierungen«, wie das heute noch heißt. Wenn in diesen Jahren das politische Klima nicht dauernd umgeschlagen wäre, wer weiß, ob ich nicht, wie der Volkskomiker Hou Baolin [116] , auch Professor an der Universität Peking geworden wäre, am Musikinstitut, im Fach Erhu.
LIAO YIWU:
Was ist so beneidenswert an einem Professor? Er hat nicht Ihre Freiheit.
BLINDER:
Ein Hagestolz ist natürlich ein freier Mann, warum kommt Ihr nicht vorbei und »genießt« mit mir diese Freiheit?
LIAO YIWU:
Sie zeigen mir, wie man das macht, morgen komme ich und »genieße« mit Ihnen diese Freiheit. Ich bringe meine Bambusflöte mit, wir musizieren zusammen, was wir einnehmen, gehört Ihnen. Dafür könnten Sie mir helfen, noch mehr Blinde zusammenzubekommen.
BLINDER:
Wozu?
LIAO YIWU:
Ich habe vor, einen Geschäftsmann zu suchen, der etwas von der Erhu versteht und der das Geld für ein Blindenkonzert gibt. Wenn Sie zwanzig Blinde zusammenbekommen, haben wir gute Aussichten.
BLINDER:
Das ist eine gute Idee, ich gehe und rede einmal mit unserem Ältesten.
LIAO YIWU:
Gibt es Blinde, die noch älter sind als Sie?
BLINDER:
Er ist nicht blind, er ist der Anführer hier in der Gegend. Ich bin an die alten Ausdrücke gewöhnt, also nenne ich ihn den Ältesten. So eine Sache kann nur er in die Hand nehmen und am Wuhou, in der
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