Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
rufen alle Mädchen zusammen, suchen sich Lieder aus und jeder zahlt ein paar Hunderter – es ist jedes Mal, als würden im Kindergarten Bonbons verteilt.
Einmal bin ich durch den großen Haupteingang eines Finanzamtes gegangen, als mir jemand auf einem großen Foto auf einer dieser Ehrentafeln in einer Vitrine sehr bekannt vorkam. Ich blieb stehen und schaute genauer hin. Jetzt raten Sie einmal, wen ich da sah? Einen meiner Freier! Der Modellarbeiter, der erst am Abend vorher mit mir geschlafen hatte, war Chef des Finanzamtes! Da bin ich in einem Anfall von Neugier nach oben und habe ihm einen offiziellen Besuch abgestattet. Aber der hat mich natürlich nicht gekannt. Als ich vor dem Bürotisch saß, habe ich mich nicht mehr eingekriegt, mir sind vor Lachen die Tränen heruntergelaufen, ich habe das Maul gar nicht mehr zubekommen. Mich Irre hat dann sein Sekretär davongejagt. Doch als ich zu Hause ankam, fühlte ich, dass in meiner Handtasche ein paar Hunderter mehr waren! Das war doch gut verdientes Geld, was meinen Sie?
LIAO YIWU:
Nach meinen Beobachtungen verdienen derartige Kneipen ihr Geld hauptsächlich mit den Tischmädchen, halten Sie sich selbst auch für die »Schlüsselindustrie« hier? Halten sie die Tischgebühren, die die Kneipen erheben, für vernünftig?
FRÄULEIN WANG:
Die Kneipen überlassen uns ihr Territorium und die Touristenquellen, dafür eine gewisse Tischgebühr zu verlangen ist nur recht und billig. Natürlich, wenn es uns nicht gäbe, wären die Karaoke-Zimmer, die Séparées und die Gästezimmer sicher sehr viel verlassener. Aber ein Mensch kann ja nicht nur an sich und seinen Verdienst denken, er muss auch ein wenig abgeben können, dann verschmelzen die Beziehungen ineinander, und wir haben alle etwas davon. Wenn nicht, hätten die großen Kneipen und Nachtclubs alle keine Gäste mehr und würden eingehen, und wir müssten wie die unregistrierten Bordsteinschwalben in der alten Gesellschaft auf der Straße anschaffen.
Alles in allem geht es unsereinem in China heute besser denn je, vor der Befreiung 1949 hatten es die Mädchen vom Gewerbe nicht leicht. Die Puffmütter verlangten die Hälfte des Geldes, die Gäste verachteten sie und ließen sie fühlen, wer sie waren; doch heute gilt jeder etwas, der Geld hat, verachtet wird nur, wer arm ist. Deshalb sind alle gleichberechtigt, wenn ein Gast kommt – dein Rettich und mein Loch, ist das nicht alles die gleiche Geographie?
LIAO YIWU:
Vor einiger Zeit gab es Zeitungsberichte, wonach in einigen Gebieten in Sichuan die Finanzämter versuchten, von den Dreifachservice-Mädchen Einkommensteuer zu erheben, das schlug in der Gesellschaft hohe Wellen, eine ganze Reihe von Spezialisten für gesellschaftliche und rechtliche Fragen nahmen an der Diskussion teil. Was halten Sie davon? Wollen Sie Steuern zahlen?
FRÄULEIN WANG:
Ja, das will ich! Die Belastungen des Finanzministeriums sind so groß, viele Leute ohne Job bekommen nur ein paar hundert Yuan Unterstützung, da müssen Leute wie ich mit einem hohen Einkommen ihrer Pflicht nachkommen. Außerdem, sobald ich Steuern zahle, wird auch meine Beschäftigung legalisiert, dann gibt es keine Säuberungsaktionen mehr, dann muss man sich keine Sorgen mehr machen. Um das Prozedere zu erleichtern, sollten wir einen Gewerbeschein bekommen, zumindest aber sollte es einen Gesundheits- oder einen Hygieneausweis geben. Erst nach einer Untersuchung im Krankenhaus und wenn der Körper den Vorgaben entspricht, sollte man die Erlaubnis bekommen, unserer Arbeit nachzugehen.
Ich weiß, dass man im Ausland im allgemeinen ein Rotlichtviertel ausweist, und wer außerhalb davon dieser Tätigkeit nachgeht, ist illegal. Aber wir als sozialistisches Land können so etwas nicht machen, das ist eine Frage des Images.
LIAO YIWU:
Sie sind aber sehr wach im Kopf. Haben Sie noch nie daran gedacht, in Zukunft etwas anderes zu machen?
FRÄULEIN WANG:
Wie sollte ich nicht? Aber nur, wenn ich hinterher irgendwohin gehe, wo meine Umgebung meine Geschichte nicht kennt. Ideal wäre es, dort, wo man mich nicht kennt, dem Traumprinzen auf dem weißen Pferd zu begegnen, da würde ich mich bestimmt in einer anderen Aufmachung präsentieren und ein neuer Mensch werden. Die Medizin ist heute soweit, dass es leicht ist, sich wieder zur Jungfrau machen zu lassen. Trotzdem, das sagt sich so leicht, so leicht ist es aber nicht. Ich bin noch keine einundzwanzig, aber über mich sind schon Hunderte und Tausende von Männern
Weitere Kostenlose Bücher