Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
diesem müden Sieg. Bevor nun das »Feuer für die zweite Schlacht« eröffnet wurde, hat mich der Orchesterleiter noch einmal zu sich beordert, in das gleiche Büro, seine Gestik, seine Blicke, selbst seine Seufzer waren die gleichen wie beim ersten Mal. Ich war ein sehr sensibler kleiner Kerl, nach fast einhundert Tagen in einem erstickenden Totenteich, in dem niemand mit einem sprach, in dem die Albträume nicht abrissen und das Bewusstsein getrübt war, war da plötzlich ein Mensch, ein führender Kader, der sich gab wie ein fürsorglicher Vater und dich mit Wärme behandelte, wie sollten einem da nicht die Tränen in die Augen steigen?
Der Orchesterleiter sagte: »Genosse Xilin, nach diesen Versammlungen hast du eine tiefe Belehrung erfahren, vermute ich? Du darfst dich über die ungute Haltung der Genossen dir gegenüber nicht wundern, zeig dich ein bisschen bescheidener, die Partei weiß genau Bescheid über den Stand der Dinge in dieser Kampagne! Seien deine Fehler auch noch so schwer, können sie sich mit den Kriegsverbrechen des letzten Kaisers Pu Yi und der Guomindang vergleichen? Und sie haben sich alle bessern können, warum solltest nicht auch du das können?«
Damit wollte er sagen, dass die Partei mich nach Prüfung noch immer für einen der ihren hielt, bei mir brachen alle Dämme und die Tränen schossen mir nur so aus den Augen.
Da wechselte der Orchesterleiter in bewährter Manier das Thema: »Genosse Xilin, beim letzten Mal hast du nur Selbstkritik geübt in Bezug auf persönliche Probleme, jetzt hofft die Partei darauf, dass du den Kreis etwas erweiterst und Klartext redest, was die Beziehungen zwischen dir und gewissen Leuten angeht. Um welche Leute es sich dabei handelt, das werde ich hier nicht sagen, um deine Haltung zu sehen. Die Augen der Massen sind schneehell, die Partei hat bereits alles vollständig untersucht. Wie habt ihr normalerweise über die Führung gesprochen, wie habt ihr eurem Missmut freien Lauf gelassen, irgendwas von ›frustrierten Talenten‹, und dann gab das eine das andere, die Partei hat alles in der Hand. Und du, du musst nichts weiter tun, als Punkt für Punkt aufzuzählen, Zeit, Ort, Teilnehmer, wir werden das mit dem Material, das wir bereits in Händen haben, abgleichen, was war, das war, was nicht war, war nicht, du musst ehrlich deine Verantwortung übernehmen!«
Als er mein Zögern sah, fuhr er fort: »Die Partei will nicht nur dich retten, sie will auch die anderen verirrten Genossen retten. Du musst dich niemandem gegenüber schuldig fühlen, denn auch die Beziehung zwischen Genossen hat proletarischen Charakter und folgt proletarischen Prinzipien! Du wirst doch die Gelegenheit nicht ungenutzt lassen, dich enger an die Partei anzuschließen und deinen Genossen zu helfen. Nach der Kampagne werdet ihr wieder gute Genossen sein, alle werden wieder gute Genossen sein!«
Ich hatte keine Wahl, nach über zehn Jahren Erziehung zum Sozialismus konnte ich nur dem Versprechen der Partei glauben, »je besser die Haltung, umso nachsichtiger die Behandlung«. In einem Zustand krankhafter Erregung gestand ich, was mir einfallen wollte, es war, als stünde ich unter Morphium. Ich gestand über hundert Straftatbestände, alles in der Art, wann ich was mit wem gesprochen hatte und wie seine Reaktion darauf war; wann ich wen mit wem über wen hatte sprechen sehen; einmal dachte ich daran, wie mir irgend jemand bei meiner Rede über die Verdrängung der auslandschinesischen Spezialisten im Orchester heimlich gegen den Fuß getreten hatte; wer im Gebäude wen getroffen und gesagt hatte: »Wenn Jiang, Hu, Liu und Liu (die führenden Kader) nicht versetzt werden, dann wird das nichts mehr mit dem Orchester; was sind denn das für Leute, die noch 1958 gemaßregelt wurden« und so weiter.
LIAO YIWU:
Lappalien.
WANG XILIN:
Es war entsetzlich, es war ein gewaltiges Problem! Als ich auf der Vollversammlung mein »Zweites Geständnis über die kleine Clique gegen die Partei« verlas, brannte im Übungsraum die Luft.
LIAO YIWU:
Haben Sie sich selbst die Mütze der Rebellion gegen die Partei aufgesetzt?
WANG XILIN:
Ja, denn der Orchesterleiter hatte durchblicken lassen, je grundlegender mein Geständnis sei, desto besser käme ich aus der Sache heraus. Ich wagte nicht, den Kopf zu heben, ich las einfach Punkt für Punkt weiter, alles war extrem angespannt, jeder war eine Handgranate, und der Abzug lag an meinem Mund. Wenn ich einen Namen ausspuckte, dann gab es in meinen
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