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Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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»Hymne auf das verstockte Kommunemitglied«, »Der gute Parteizellenleiter«, »Neue Gesichter vor dem Yanmen-Pass«, »Die Drei Roten Banner im Wind«. [66]
    Das war das gewaltigste musikalische Werk, das in dieser Gegend je aufgeführt worden war. Der Chor bestand aus über zwanzig Mitgliedern, dazu kamen über dreißig Orchestermusiker, ich dirigierte selbst und gab dem Ganzen eine erhabene Wucht. An der Uraufführung nahmen sämtliche führende Kader des Regionalkomitees teil, die Wirkung war ausgezeichnet. Der Leiter der Propagandaabteilung, ein Mann namens Chen Sowieso, äußerte öffentlich seine Anerkennung und wünschte mir »nach der Umerziehung eine große, unbelastete Zukunft«.
    LIAO YIWU:
    Hat das die Menschen so bewegt? Singen sie doch einmal ein paar Sätze an!
    WANG XILIN:
    Sie sind ein Spaßvogel! Ich spiele es auf dem Klavier, dann kann ich mich vielleicht erinnern. Richtig, hier hatte Ding Ling [67] geschrieben »Sonne über dem Sanggan-Fluss«, das hat mich inspiriert, am Anfang hieß es »Es brandet der Sanggan«, einfache Männerstimme, außerordentlich. Danach habe ich auf eigenen Wunsch in Fabriken, auf Bauerndörfern und in Militärgebieten die Musik bekannt gemacht, alles in der Art von »Wer an der Yanmen-Burg steht / Schön der Blick nach Süden geht / Wo Mais, wo Reis gedeihn / Und Wasserspeicher Fisch und Strom verleihn«.
    Damals haben viele aufs Land verschickte stinkende Intellektuelle sich von einem Tag auf den anderen verwandelt, genau wie ich, sie gründeten Arbeitsgruppen zur Erziehung zum Sozialismus, sie gingen auf die Dörfer, um sie voranzubringen und selbst Erfahrungen zu sammeln. Ich selbst war acht Monate lang in einem Dorf im Kreis Yanggao. Ich aß, wohnte und arbeitete mit den Dorfleuten zusammen und untersuchte das Problem der Korruption eines Kaders dort. Wenn er nicht gestand und keine Aussage machte, kam er nicht in die Produktionsbrigade und konnte das Neue Jahr zu Hause vergessen, am Ende hat er komplett kapituliert, wie ich damals. Aber ein wenig später stellte sich das Ganze als eine einzige Lüge heraus.
    LIAO YIWU:
    Was für eine Verleumdung!
    WANG XILIN:
    Aber wenn die Politik sagt, das Wetter schlägt um, dann schlägt es um. Mit Beginn der Kulturrevolution wurde die Akte mit meinen Problemen veröffentlicht, mit einem Schlag war ich wieder das Ziel von Kampfkritiken. Der »strahlende Erfolg« meiner Selbstläuterung auf dem Land war auf einmal ein Verbrechen, weil ein Propagandaleiter, der längst den Weg des Kapitalismus beschritt, mir seine Anerkennung ausgesprochen hatte. Und auch mein großer Chor war auf einmal »giftiges Unkraut«.
    Die gesamte Arbeitsgruppe Kultur bekämpfte mich, es war das Gleiche wie seinerzeit in Peking. Anschließend setzte man mir eine Mütze auf, hängte mir ein schwarzes Schild um den Hals und stellte mich öffentlich in den Straßen zur Schau. Ich war ein durch die Maschen geschlüpfter Rechtsabweichler, ich war ein antikommunistisches, klassenfremdes Element, das seine Herkunft verbarg … mit einem Satz, die Jahre meiner Umerziehung waren für die Katz gewesen. Sun Guangli, Instrukteur bei der Volksbefreiungsarmee und ein ungehobelter Kerl, sah Tag für Tag darauf, dass ich meine Probleme eingestand. Wenn es darum ging, das Vertrauen der Partei zu gewinnen, hatte ich schon längst die Grenze überschritten, ich wiederholte den alten Trick und verfasste eine Selbstkritik. Mit meiner ganzen musikalischen Vorstellungskraft wandte ich formelhaft das »tonale Achsendiagramm« aus der Harmonielehre an und gestand nicht nur erneut meine »historischen Probleme«, sondern zeichnete sorgfältig eine »Modulationsskizze« meiner zwischenmenschlichen Beziehungen. Ich war C-Dur, das war die Haupttonart. Um mich herum stufte ich nach der Enge der Beziehung ab in verwandte Tonarten ersten, zweiten und dritten Grades und in fernere Tonarten. Der stellvertretende Arbeitsgruppenleiter Hao Ruifeng zum Beispiel und Duan Lianhai, der bei dem großen Chor mitgearbeitet hatte, gehörten zu den verwandten Tonarten ersten Grades, oder zu D-Dur und E-Dur, Mitglieder des Orchesters, die mich verehrten und mit mir fühlten wie X und Y, zu den verwandten Tonarten zweiten Grades f-moll und G-Dur; meine Familie, Tonart dritten Grades; die normalen Ensemblemitglieder, die nickten und Beifall klatschten, fernere Tonarten wie a-moll und b-moll.
    LIAO YIWU:
    Haben Sie dieses Bild zustandegebracht?
    WANG XILIN:
    Ja, das habe ich. Verdammt, das war

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