Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
auf die Partei! Die drei Richtlinien sind vom Zentralkomitee nach dem Willen des gesamten Volkes formuliert worden, wenn das Orchester sie nicht umsetzt, meinst du wirklich, dass es sich dann nach deinen Vorstellungen richtet?«
Ich hörte wie gelähmt zu, ich hatte Tränen in den Augen. Da fuhr der Orchesterleiter fort: »Der Weg zu einem roten Spezialisten ist doch breit genug, aber du willst ihn nicht gehen, stattdessen ausgerechnet das weiße Spezialistentum! Du hast nicht die Partei im Blick, nicht die Massen, du bist stolz wie ein Gockel! Zuerst schleppst du einfach so ein Klavier durch die Gegend, das hat schon einen ausgesprochen schlechten Eindruck gemacht. Die Parteioberen haben dich einen Monat zur Arbeit und Besserung zur Nr. 13 versetzt, man wollte dich erziehen, aber alles ohne den geringsten Erfolg. Hast du denn irgendein Elixier getrunken, dass du mit allen unzufrieden bist? Ach!«
Das alles stieß mir bitter auf, und ich wollte mir mehrfach durch eine Rechtfertigung Erleichterung verschaffen, aber der Orchesterleiter verhinderte das mit einer Handbewegung. Ich hörte nur, wie er plötzlich das Thema wechselte: »Auch wenn du dich gegen die Partei stellst und die proletarischen Gefühle der Genossen sehr verletzt hast, wenn du deine Fehler ehrlich eingestehst, wird die Partei dich wieder in ihre warmen Arme schließen. Ach, Genosse Xilin, du stammst aus einer Beamtenfamilie der Guomindang, du bist mit zwölf in die Revolutionsarmee eingetreten, und seither hat die Partei dich nicht im Stich gelassen, sie hat dir eine künstlerische und kulturelle Ausbildung angedeihen lassen, sie hat dich in die Kommunistische Jugendliga aufgenommen und dich auf das Konservatorium geschickt. Weißt du überhaupt, dass für die Ausbildung eines einzigen Studenten dreitausend Bauern fünf Jahre lang hart arbeiten müssen?! Und du stellst dich gegen die Partei, gegen die Politik, gegen die Massen des Volkes, gegen deine Pflicht, Vater und Mutter zu nähren und zu kleiden, ja, sag mal, hat denn dein Gewissen wirklich die Katze gefressen?«
Ich war wie vom Donner gerührt und hätte mich am liebsten in ein Mauseloch verkrochen. Der Orchesterleiter redete eine geschlagene Stunde in säuselndem Ton auf mich ein: »Den bürgerlich-individualistischen Wunsch, dir einen Namen zu machen, musst du mit der Wurzel herausreißen, samt dem Gedankengut deiner Klasse, das dich auf diesen schlechten Weg und gegen die Partei geführt hat! Du musst um das Verständnis der Partei und des Volkes kämpfen, sonst ist das dein Untergang!«
Und leiser gestand er mir: »Ich war wie du, in Yan’an habe auch ich Fehler gemacht, ich habe zweimal eine Quittung geändert, habe zweimal Geld angenommen, aber durch Umerziehung und Wiedergutmachung habe ich das Vertrauen wiedergewonnen und viele Jahre für die Partei gearbeitet. Und wie du siehst, geht es mir heute gut!!?«
Wenn man einmal so weit gesunken ist, greift man nach jedem Strohhalm. Ich hatte ja mit eigenen Augen gesehen, wie sie 1957 die Rechtsabweichler an die Basis schickten und wie die Umerziehung durch Arbeit am Ende ausgesehen hat. Und so habe ich unter Tränen versichert, ich würde grundlegende Selbstkritik üben.
In den darauffolgenden Tagen und Nächten habe ich mit einem Enthusiasmus, der zehnmal größer war als beim Schreiben des Quartetts, die von der Partei verlangte Selbstkritik verfasst. Wenn ich auf meinen Lebensweg zurückschaute, dann hatte ich seit meinem Eintritt in das Lied- und Tanzensemble der Armee Kultur und Musik studiert und in der Liebe meiner Klassenfreunde gebadet. Wenn ich mir bei Eilmärschen von dreißig und mehr Kilometern am Tag Blutblasen gelaufen hatte, dann haben meine großen Genossen sie aufgestochen und mir die Füße in heißem Wasser gebadet. Wenn ich voller Läuse war, dann haben meine großen Genossen mich gedrängt, die schmutzigen Klamotten auszuziehen und sie auszukochen. Wenn ich vom Marschieren so fertig war, dass ich mich kaum noch rühren konnte, dann haben die großen Genossen mir das Marschgepäck abgenommen. Als ich später dann meinen Abschied nahm und aufs Konservatorium ging, war ich bei der Kampagne gegen Rechtsabweichler wieder an vorderster Front, ich ging aufs Land, ich ging in die Fabriken und arbeitete, ich wurde als eine der fortschrittlichsten Persönlichkeiten angesehen, die an der Vollversammlung der Stadtdeligierten teilnahm … Und jetzt lohnte ich das alles mit Undank, fünf Jahre lang hatten dreitausend Menschen
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