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Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Titel: Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Jacobs
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Filzdecken, Sättel und Zäume ein. Wir waren alleine mit der unendlichen Weite, den sich endlos dahinschlängelnden Wegen und der Wildnis. Meine Blicke reichten in endlose Fernen. Nur die dunstig schwarzen Berge der Grenze zu Chile reihten sich am Himmel auf wie ein Heer, das mich zu beschützen schien.
    Wir ritten auf Hügel, die den Blick nochmals erweiterten, durch Schluchten, die umgeben waren von scheinbar pulsierenden Bergen. Über riesige Weiden, durch Herden blökender Schafe, seichte Bäche und Flüsse und kniehohes Gras. Auch wenn es sturmartig wehte oder Regenschauer auf das trockene Land fielen, es war immer wunderschön. Manchmal sah ich ein von einem Wolf oder Puma gerissenes Schaf, das zerfetzt im Zaun der Landbegrenzungen hing. Oder ich entdeckte mit bloßem Auge die Hirsche, die mit ihren riesigen Geweihen an den Berghängen harrten und mich mit ihren wilden, schwarzen Augen ansahen.
    Nie war ich so weit entfernt von dem, was mich zum ständigen Nachdenken zwang. Hier fühlte ich mich zugehörig, als hätte ich mein Leben lang nichts anderes gekannt.
    Abends las ich die Schachnovelle von Stefan Zweig mit der Taschenlampe, schlief ein, wenn der Generator schon längst abgeschaltet war, und erwachte, wenn er um sieben Uhr wieder ansprang. Der Schein der Morgensonne blitzte durch den Vorhang, und leise pfiff der kalte Wind. Wir bekamen auch hier die dicke Karamellcreme aufs Brot und schmorten ein ganzes Schaf über dem offenen Feuer. Es gab argentinisches Steak und selbstgemachte Nudeln.
    An einem Nachmittag kletterte ich auf einen Felsen, von dem aus man die Farm überblicken konnte. Ich lehnte mich an einen Stein und saß, bis die Sonne sank, im Gras. Keiner rief nach mir, ich musste nirgends hin, ich hatte Zeit. Der Wind sang und zerzauste mir die Haare, ich fröstelte leicht, da ich nur einen Baumwollpullover trug. Aber ich war süchtig nach diesem Nichts und harrte aus. Erst als gegen sieben Uhr zum Abendessen geklingelt wurde, kletterte ich wieder runter.

    Zwei Tage später bot mir mein Onkel an, mit meiner Tante und ihm für einen Tag nach Buenos Aires zu kommen. Die Idee klang erst absurd, weil man nach Buenos Aires nur mit dem Flugzeug kam, an einem Tag hin und wieder zurück, dass so was überhaupt möglich war! Ich wollte mit.
    Um sechs Uhr morgens verließ der Jeep die Farm, und drei Stunden später landeten wir an der argentinischen Uferseite des gigantischen Flusses Rio de la Plata, der Argentinien von Uruguay trennt. Als ich aus dem Flugzeug stieg, schlug mir Gestank entgegen, die Luft über dem Asphalt vor dem Flughafengebäude waberte. Aus dem Gewimmel von geparkten Autos nahmen wir uns eine der Taxen, stiegen ein und schlängelten uns auf die Straße.
    Nach vierzig Minuten Fahrt hielten wir direkt vor der Terrasse eines Restaurants. Wir setzten uns an einen weißen, mit Silber gedeckten Tisch und warteten. Mir war schlecht von der Fahrt und der dicken Luft, die mich erdrückte. Ein junger Kellner trat heran. Er hatte glänzende, pechschwarze Haare, die mit viel Gel glatt zurückgekämmt worden waren. In der Hitze trug er einen steifen Anzug und ein schiefes Lächeln. Er nahm unsere Bestellung auf und ging. Wenige Minuten später servierte er jedem von uns ein durchsichtiges Häufchen zerhackten Fischs auf einem Glasteller. Ich aß Brot dazu.
    Nach dem Essen standen wir wieder im Stau. Wir wollten zu einem Einkaufscenter – zum Shoppen. Ich entdeckte auf dem Gehsteig ein Mädchen. Ich beobachtete, wie es zur Straßenecke hüpfte. Ihr Kleidchen wehte im Wind, und ihre Locken wippten auf ihrem Kopf. Ich fragte meine Tante, was dieses Mädchen dort zu suchen hatte, und sie antwortete: »Die geht hier schon den ganzen Tag auf und ab, wartet nur darauf, dass sie einer mitnimmt und sie für ihre Prostitution bezahlt. Ihre Mutter, die sitzt an einer anderen Ecke und bettelt.«
    Ich sah wieder hin. Ich schätzte das Mädchen auf fünf Jahre! Abrupt blieb unser Taxi stehen. Ich kippte nach vorne und musste mich mit der Hand an der Rückenlehne des Beifahrersitzes abstützen. Als wir an ebenjener Ecke ausstiegen, war das Mädchen verschwunden.
    Durch zwei gläserne Schiebetüren, die sich lautlos zurückzogen, betraten wir die mit klimatisierter Luft gefüllte Halle eines Einkaufszentrums. Wir zogen durch Leder- und Silbergeschäfte, bis wir wieder draußen vor den lautlosen Schiebetüren, mitten im Lärm der Straßenschluchten standen. Ich hielt eine Tüte, deren Kordel fest um mein

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