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Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Titel: Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Jacobs
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Argentinien, das klang nach mehr, und ohne zu ahnen, was da draußen auf mich wartete, trat ich diese Reise ans andere Ende der Welt an.
    Ich erinnerte mich, wie ich oft mit gebanntem Blick auf das eine Foto an der weißen Wand im Haus meiner Tante gestarrt hatte. Ich weiß nicht mehr, was meine Augen so anzog, ob es der in der unendlichen Weite verschwindende Steinweg, die Landschaft oder der darübergezogene Regenbogen war. »Wenn du dann alt genug bist, kommst du mit uns dorthin«, hatte mir meine Tante immer versprochen.
    Ich hatte dieses Versprechen etwas hoffnungslos aufgenommen, es war ja doch nur ein Foto, und das, was darauf zu sehen war, lag so weit weg, dass es mir unmöglich schien, jemals genau diesen Weg entlanggehen zu können.
    Nun durfte ich in die fremde Welt aufbrechen, und es sollte eine Reise zum Horizont meiner Träume werden.
    Wir reisten mehrere Tage, machten einen Stopover auf Salvador da Bahia, besuchten Freunde meines Onkels, die in einem Anwesen mitten im Dschungel lebten. Zwölf Stunden lang waren wir umhüllt von undurchdringlichem Nebel, guckten Doktor Schiwago im Fernseher und langweilten uns.
    Ich erinnere mich an ein Mädchen – es muss die Tochter des Freundes gewesen sein. Sie war damals vielleicht siebzehn, zierlich und hatte dennoch runde Hüften, ihr Haar reichte an die Spitzen ihrer Schulterblätter, ihre Haut war schokoladenbraun, und über ihre Augen zogen sich dichte Augenbrauen. Sie grüßte uns auf Spanisch. Ich muss sie mit offenem Mund angestarrt haben, denn ihre Stimme war tief und rauh wie die einer ausgewachsenen Frau, die jeden Abend in einem verqualmten Club Akustikgitarre spielte und dazu sang. Zum ersten Mal machte ich mir einen Begriff von Erotik. So neu waren mir diese Züge der jungen Frau. Ihre Erscheinung ist mir ebenso in Erinnerung geblieben wie die Formen der argentinischen Landschaft.
    Zum Frühstück gab es Dulce de Leche, eine dick eingekochte Creme aus Kondensmilch und Karamell. Wir sahen aus dem Wohnzimmer in den Nebel und versuchten uns vorzustellen, was sich darin verbarg.
    Von Salvador da Bahia aus ging die Reise weiter nach Bariloche. Wir flogen über eine endlose, in riesige Quadrate geteilte Landfläche – nirgends ein Haus, nirgends ein Zeichen von Zivilisation. Ich hing am Fenster und traute meinen Augen nicht. Es war kein Entdecken. Es war auch kein Finden. Zum ersten Mal glaubte ich auf den Grund meiner Seele zu schauen. Da war das Land in mir, schon immer da gewesen, an einer Stelle in mir, die ich noch gar nicht kannte.
    Als ich nach etlichen Flugstunden meine Füße auf den Boden hinter dem Äquator setzte, umschlang mich ein kühler Wind, der von irgendwo da draußen kam und in meinen Haaren wühlte. Sofort schloss ich diese Fremde tief in mein Herz ein. Auf dem Weg zur Farm meines Onkels im ratternden und quietschenden Jeep fuhren wir an spiegelglatten Seen, hohen Bergen und heruntergekommenen Dörfern vorbei. Ich musste an das Foto denken, das zwei Tagesreisen von hier an der Wand hing, als der Jeep auf einen steinigen, fast endlosen Weg abbog. Die Vorstellung, die das Foto in meinem Kopf ausgelöst hatte, war so nahe und unglaublich wahrhaftig! Was ich hier sah, war anders als alles, was mir bisher unter die Augen gekommen war. Meine Maßstäbe passten nicht auf diese gewaltige, große Welt – ich konnte es nicht fassen. Ich hatte dieses Gefühl noch nie zuvor gefühlt – das Gefühl, nach Hause zu kommen.
    Wir fuhren durch eine Allee von Pappeln und hielten auf einem Platz vor dem großen, zweigeschossigen Blockhaus – dem Wohnhaus der Estancia.
    Der harzige Geruch im ganzen Haus war süßlich und erfüllt mit dem Duft von Holz und sonnengetrockneten Gräsern.
    Am nächsten Morgen wurden den Pferden Decken und Sattel auf den Rücken geschnallt. Mit Lederriemen, die durch Metallringe gewickelt und angezogen wurden, befestigte man den Sattelgurt. Die Zaumzeuge bestanden aus einfachen Lederhalftern ohne Nasenband, die meisten Pferde hier wurden auf Kandare geritten. Für manche ist die Kandare ein Folterinstrument – die Gauchos kümmerte das wenig, auch wenn die Pferde aus dem Maul bluteten. Die Tiere lebten elf Monate auf der Weide, da konnten sie auch mal einen Monat aus dem Maul bluten. Man sah das hier nicht so eng. In einer Kolonne ritten wir ins Nirgendwo und Überall dieser Landschaft. Einer der Gauchos ritt vorn, ein anderer am Schluss. Ich saugte den wohlbekannten Geruch der fast wilden Pferde, der verschwitzten

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