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Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Titel: Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Jacobs
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Ahornbäume, sie wirken, von Moosen und Flechten bewachsen, wie steinerne Fossilien. Ich sauge diesen unvergänglichen Anblick auf. Giovanni fängt ungeduldig zu tänzeln an.
    Wir reiten nach links die Straße hoch und biegen dann wieder in den Wald ab. Nach einem weiteren Galopp erreichen wir bald die mir bekannte Umgebung der Farm. Wir passieren das Grundstück eines Nachbarn namens Tim Butterfield, tauchen wieder in den Wald ab und galoppieren mit den Pferden schließlich über ein weites Feld, das oberhalb der Farm liegt.
    Walther hat einen so großen Galopp, dass Giovanni selbst im Renngalopp nicht mithalten kann. Wir jagen am Waldrand entlang und kommen schließlich in einer Kurve der breiten Schotterstraße aus dem Wald. Wir bringen die Pferde zum Schritt und lassen die Zügel auf den letzten Metern wieder lang.
    »Francis?«
    »Was?«
    »Meinst du, man kann von Natur süchtig werden?« Es ist eine rhetorische Frage. Francis gibt darauf die rhetorische Antwort: »Wieso? Musst du befürchten, zu Hause in eine Entzugsklinik zu kommen?«
    »Ich denke ja.«
    Er lacht. »Die Selbstmordrate unter Farmern ist im Vergleich zu Beamten oder Unternehmern weitaus höher. Landwirtschaft ist Krieg. Da ist das Wetter, da sind Ungeziefer, Krankheiten, die die Saat bedrohen. Oder wenn der Weizen hoch und golden steht, schlägt der Hagel die Halme zu Boden oder ein Sturm peitscht die Körner aus den Ähren. Und wenn du Glück hast, kommt der Regen erst bei der Ernte. Dann musst du den feuchten Weizen in den Speicher schaffen. All das überstanden, ringst du um den Preis, und dann kriegst du den alten Traktor nicht mehr in Gang. Es ist ein Kampf, da darf man sich nichts schönreden.«
    »Es ist ein Kampf, den ich viel lieber führen würde als den Kampf, den ich immer gegen ein künstlich geschaffenes System führe. Am Ende sterbe ich lieber an einem Hagelschauer als an Termindruck.«
    »Nein«, gesteht Francis, »in der Stadt könnte ich auch nicht mehr leben. Da müsste ich auch in eine Klinik. Ich glaube, wenn gar nichts mehr geht, dann würde ich zu den Amish People gehen. Zurück zur Basis allen Lebens.«
    »Das würde ich auch. Das Schlimme an dem Gedanken ist, dass ich so viele Dinge neu lernen müsste. Weißt du, ich kann ja nicht mal mehr stricken. Holz hacken allerdings, das könnte ich.«
    »Man lernt sehr schnell – keine Sorge.«
    Ich denke einen Moment nach. Könnte ich den Kampf gegen die Elemente, mit der Natur denn aufnehmen? Ich weiß es nicht.
    Die Pferde trotten heimwärts. Ich brauche Giovanni nicht zu lenken, er kennt seinen Weg.

15
    Ic h kehrte aus Argentinien nach Hause zurück. Die verstümmelten Menschen starrten in meinen Gedanken immer weiter zu mir hoch, das wehende Kleid des Mädchens, es ging mir nicht aus dem Kopf. Diese bleibenden Eindrücke rissen die Kulisse meiner Heimat nieder.
    Zum ersten Mal hatte ich körperlich verkrüppelte Wesen auf Gehsteigen dahinsterben sehen, zum ersten Mal hatte ich Menschen leiden sehen, und ich war geschockt.
    Aber es war nicht nur menschliches Leiden, das mir neu war – mit meinen eigenen Augen hatte ich grenzenloses Land ermessen können und mich darin wiedergefunden. Die Schweiz war so klein, dass alles und jedes ordnungsgemäß begrenzt sein musste. Ich kehrte aus Argentinien zurück und war vergiftet. Ich hatte die Freiheit gesehen.
    An den Schein der Schweiz konnte ich nun nicht mehr glauben. Goldene Gitterstäbe sperrten mich ein. Die Ordnung erschien mir als Manie, die Perfektion dieser scheinheiligen Welt als ein Wahnsinn, dem ich nur noch entkommen wollte.
    Ich erkannte die Ignoranz der Schweizer, die über ihren Tellerrand nicht schauten. Jeder pünktliche Zug, alles, was schön war und glänzte, war für mich Wahnwitz. Die Schweiz war nicht mein Begriff von Realität. Real zu sein hieß, Mängel zu haben, die armen, leidenden Menschen spiegelten wider, wie ich mich fühlte. Krank und schwach. Doch so zu sein schien mir auf einmal normal. Ich war so gut, wie ich war, und nur in der Schweiz war das nicht gut genug.
    Ich wollte so gerne fliehen. Doch wohin sollte ich zwischen Schulweg, Unterricht, Schulweg, Nachhilfe, Therapie, Hausaufgaben gehen? Ich steckte in einem unerbittlichen System und hätte es nicht gewagt, dagegen aufzustehen.
    Meine Flucht vollzog sich also nach innen. Ich träumte mich weg. In dieser Zeit liefen Filme wie Thelma & Louise im Fernsehen, Legenden der Leidenschaft kam ins Kino. Ich sah mir diesen und andere Filme drei- oder

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