Frag die Toten
seufzte. »Vielleicht ist ja alles in Ordnung, und wir haben nur deshalb nichts von ihm gehört, weil er – was weiß ich? – ein Auto gestohlen hat. Oder wieder in einem Laden was geklaut hat. Wenn wir die Polizei auf die Suche nach ihm schicken und sie ihn finden, könnte es darauf hinauslaufen, dass er eine Anzeige kriegt. Willst du das?«
Jetzt war Dwayne derjenige, der seufzte. Verständnis heuchelnd schüttelte er den Kopf. »Aber wir haben doch schon alles abgeklappert. Seine Freunde. Mögliche Aufenthaltsorte. Da bleibt nicht mehr viel.«
»Aber ausgerechnet sie?« Marcia neigte den Kopf in Keishas Richtung. »Wären wir da nicht mit einem Privatdetektiv besser dran?«
Dwayne kam hinter der Couch hervor und setzte sich neben Marcia. »Das haben wir doch auch schon durchgekaut, Marcia. Als ich einen Privatdetektiv vorschlug, bist du mir fast an die Gurgel gegangen, weil der genauso viele Fragen stellen würde wie die Polizei. So arbeiten die eben. Sie müssen Fakten finden, tief graben, mit Leuten reden, und dann wissen alle Bescheid, was bei uns los ist, Marcia, und ich weiß doch, wie wichtig es dir ist, Justin zu schützen, Diskretion über seine … Verirrungen zu wahren. Aber Ms. Ceylon arbeitet ganz anders. Sie
erspürt
Dinge. Sie ist vielleicht in der Lage, Justin zu finden, ohne Staub aufzuwirbeln, ohne mit allen möglichen Leuten reden zu müssen.« Er sah Keisha an. »Das stimmt doch, oder?«
Sie nickte. »So arbeite ich.« Die ersten Worte, die sie seit zwanzig Minuten gesprochen hatte.
Marcia Taggart schüttelte den Kopf. »Also ehrlich, Dwayne, diese Frau … Dieses esoterische Psychogeschwafel – wenn es darum geht, lässt du dir wirklich alles einreden. Diese Frau –«
Da unterbrach Keisha sie zum ersten Mal. »Ich heiße Keisha Ceylon. Üblicherweise höre ich auf den Namen Keisha, aber wenn Sie mich lieber »diese Frau« nennen, dann, bitte, tun Sie sich keinen Zwang an.«
Marcia richtete ihren Blick auf sie. »Ich glaube nicht, dass Sie können, was Sie zu können vorgeben.«
»Da sind Sie nicht die Einzige«, sagte Keisha.
»Es ist ausgemachter Blödsinn.«
»Tja, dann«, sagte Keisha und stand auf, »möchte ich nicht länger stören.« Sie schenkte Marcia und Dwayne ihr aufrichtigstes Lächeln. »Ich wünsche Ihnen alles Gute bei der Suche nach Ihrem Sohn.«
Sie ging zur Tür, doch Dwayne stellte sich ihr in den Weg. »Warten Sie, eine Sekunde noch. Marcia, die Frau – Ms. Ceylon – hat sich die Mühe gemacht, hierherzukommen. Ich glaube, da können wir uns zumindest anhören, was sie zu sagen hat.«
Marcia schnaubte. »Zu welchem Preis?«
Keisha wandte sich zu ihr um und sagte, ohne mit der Wimper zu zucken: »Mein Honorar beträgt fünftausend Dollar.« Das war mehr, als sie sonst verlangte, aber nach dem, was sie gehört hatte, konnten die Taggarts es sich leisten.
Marcia warf die Hände in die Luft. »Da hast du’s, Dwayne. Ich glaube, wir wissen beide, wo diese Frau herkommt.«
»Aber
nur,
wenn ich Ihren Sohn finde«, fügte Keisha hinzu. »Wenn ich Sie nicht auf seine Spur führen kann, bezahlen Sie keinen Cent.«
Sekundenlang herrschte völlige Stille im Zimmer.
»Also ich finde das mehr als fair«, sagte Dwayne. »Das musst du doch zugeben, Liebes. Komm schon. Auch wenn du diese Frau für eine Betrügerin hältst, was hast du hier zu verlieren?«
Marcia Taggart überlegte. Schluckt wahrscheinlich gerade ihren Stolz hinunter, dachte Keisha. Schließlich sagte Marcia: »Setzen Sie sich … Ms. Ceylon.«
Keisha setzte sich wieder.
»Wie spielt sich das Ganze ab? Wir machen das Licht aus, holen ein Ouija-Brett hervor und sprechen in Zungen?«
»Nein«, erwiderte Keisha. »Bringen Sie mir einfach etwas von Justin. Kleine persönliche Gegenstände. Etwas, das er gern hatte. Eine Handschriftenprobe könnte auch nützlich sein.«
»Ich mach das«, sagte Dwayne und verließ eilig das Zimmer.
Peinliches Schweigen trat zwischen die beiden Frauen. Marcia brach es. »Mein Mann glaubt, seine verstorbene Mutter kommuniziert mit ihm«, sagte sie und verdrehte die Augen, damit Keisha nur ja wusste, dass sie diesen Unsinn ausschließlich ihrem Ehemann zuliebe mitmachte.
Keisha sagte nichts.
»Er sagt, sie spricht im Traum zu ihm, aus dem Jenseits.« Sie schnaubte wieder. »Pfennigfuchserin, die sie war, sind das wahrscheinlich R-Gespräche.«
Keisha lachte nicht. Stattdessen sagte sie: »Ich weiß, Sie sind sehr böse auf Ihren Sohn. Aber ich spüre auch, dass Sie
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