Fragmente: Partials 2 (German Edition)
sie in der Firma eine leitende Funktion bekleidet«, murmelte Kira halblaut, während sie nachdachte. »Sie hat mehr als die meisten anderen verdient. Aber was genau hat sie getan?«
Dann wollte sie ihren Vater nachschlagen, aber sie wusste nicht einmal seinen Nachnamen. Ihren eigenen Namen, es war nur ein Spitzname, verdankte Kira den Soldaten, die sie nach dem Zusammenbruch gefunden hatten, als sie auf der Suche nach Lebensmitteln Kilometer um Kilometer durch die leere Stadt gelaufen war. Kira Walker , so hatte man sie genannt. Sie war so klein gewesen, dass sie sich nicht einmal an ihren Nachnamen oder den Arbeitsplatz ihres Vaters hatte erinnern können, erst recht nicht an die Stadt, in der sie gelebt hatte …
»Denver!«, rief sie, als ihr der Ort auf einmal einfiel. »Wir haben in Denver gewohnt. Das war doch in Colorado, oder?« Wieder betrachtete sie Nanditas Eintragung: Arvada, Colorado. Lag das in der Nähe von Denver? Sie faltete das Blatt sorgfältig zusammen, steckte es in den Rucksack und nahm sich vor, später einen alten Buchladen aufzusuchen und einen Atlas aufzutreiben. Dann betrachtete sie wieder die Gehaltsabrechnung und suchte nach einem Armin , der ihr Vater sein konnte. Allerdings waren die Zahlungen nach den Nachnamen sortiert, und es war so gut wie unmöglich, unter Zehntausenden einen bestimmten Armin zu entdecken. Außerdem – wenn sie den Namen fand, würde sich doch nur bestätigen, was sie sowieso schon wusste: Nandita und ihr Vater hatten an ein und demselben Ort für eine bestimmte Firma gearbeitet. Daraus ließ sich freilich nicht entnehmen, was sie aus welchen Gründen getan hatten.
Ein weiterer Tag mit Nachforschungen erbrachte nichts Verwendbares. Schließlich knurrte sie wütend und warf den letzten Aktenordner durch das geborstene Fenster hinaus. Gleich danach machte sie sich Vorwürfe, weil sie so dumm gewesen war, die Aufmerksamkeit jener zu erwecken, die in der Stadt umherschlichen. Sehr wahrscheinlich war dies nicht, aber sie wollte das Schicksal nicht herausfordern. Sie hielt sich vom Fenster fern und hoffte, dass ein zufälliger Beobachter die fliegenden Papiere dem Wind oder einem wilden Tier zuschrieb. Es wurde Zeit für ihr nächstes Projekt: das zweite Stockwerk.
Natürlich war es die einundzwanzigste Etage, sagte sie sich, als sie die Treppe hinaufstieg. Seltsamerweise war die Tür nur angelehnt, und dahinter befand sich ein Ozean von Büroverschlägen. Hier gab es keinen Empfangsbereich und nur eine Handvoll abgetrennter Büros. Überall sonst unterteilten niedrige Trennwände den gemeinsamen Bereich. In vielen Nischen standen Computer oder Andockbuchten, in die man tragbare Computer hineinschieben konnte. Die raffinierten Schreibtischbildschirme fehlten hier, aber was sie wirklich verblüffte, waren die Abteile, in denen sie frei hängende Kabel entdeckte. Irgendjemand hatte die Computer entfernt.
Kira blieb stehen und überblickte den Raum. Hier war es zugiger als unten, weil eine lange Fensterfront zerstört war und keine Zwischenwände den Luftstrom blockierten. Hier und dort flatterte ein Blatt Papier an den Verschlägen vorbei. Kira achtete nicht weiter darauf, sondern konzentrierte sich auf die sechs Schreibtische, die ihr am nächsten standen. Vier davon wirkten völlig alltäglich – Monitore, Tastaturen, Terminplaner, Familienfotos –, doch bei zweien fehlten die Computer. Die Geräte waren nicht einfach ausgebaut, sondern in aller Eile herausgerissen worden. Terminplaner und Fotos waren zur Seite gerutscht oder gar zu Boden gefallen, als wäre jemand in großer Eile vorgegangen und hätte sich nicht um das angerichtete Durcheinander gekümmert. Kira hockte sich hin, um den ersten Schreibtisch zu untersuchen, von dem ein Foto heruntergefallen war. Auf dem Bild und ringsum hatte sich eine Staubschicht abgelagert, in der schließlich sogar Feuchtigkeit liebende Pilze Fuß gefasst hatten. Das war nicht überraschend. Nachdem sie elf Jahre lang der Witterung ausgesetzt gewesen waren, hatte sich in vielen Gebäuden in Manhattan eine Schicht Erde gesammelt. Hier jedoch fiel ihr ein kleiner gelber Stängel auf, der an einen Grashalm erinnerte. Er schlängelte sich unter dem Foto hervor. Sie blickte zum Fenster hinauf und schätzte den Winkel ab. Richtig, diese Stelle bekam jeden Tag ein paar Stunden lang das volle Sonnenlicht ab. Das war genug, damit eine Grünpflanze gedeihen konnte. Ringsum waren andere Halme gewachsen, aber darum ging es ihr nicht.
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