Frame, Janet
was der Lehrer, Andy Reid, in der Geschichtsstunde sagte.
Es hatte Maori-Kriege gegeben, und die Weißen hatten einen Block Land an sich gerissen – wie groß mochte ein Block Land sein, überlegte Toby. Man baute Blockhäuser, und sie gingen morgens um den Block, berührten jedes zweite Gatter und pflückten jede dritte Ringelblume. Aber dieser Block Land in der Geschichtsstunde – es hieß, er umfasste einen Kauriwald, den nur ein Sturm in einer Minute umrunden konnte, wobei er jeden zweiten und dritten Baum am Schopf packte und ausriss.
«Die damalige Regierung war gut», sagte Andy.
Und manchmal sagte er: «Die Regierung war schlecht.»
Und er sprach über Frieden und Krieg, die es in der Geschichte nie gleichzeitig zu geben schien. Es herrschte, sagen wir, sechs Jahre lang Frieden, in denen Maoris und Weiße einander alle Tage und Nächte des Jahres nur zulächelten und die Nasen aneinanderrieben und Grünstein und Süßkartoffeln und Kaurimuscheln tauschten und heirateten und Picknick machten und im Freien den Kessel aufsetzten und Tee tranken und Fisch aßen und lachten, ohne dass je ein böses Wort fiel.
Bis die sechs Jahre vorbei waren. Am Silvesterabend vielleicht, da standen die weißen und braunen Menschen vor dem neuen Jahr, wie die Leute vor dem Theater oder dem Sportplatz stehen und darauf warten, dass der Film oder das Cricketmatch losgeht; und die Mütter ermahnten ihre Kinder: Pass auf, dass du nicht lachst oder spielst oder Sachen tauschst. Jetzt wird sechs Jahre lang getötet. Es ist Krieg.
Toby konnte sich einen jahrelangen Krieg nicht vorstellen, aber so erzählte es Andy Reid allen, und Andy Reid wusste Bescheid. Er sagte auch, es habe einen hundertjährigen Krieg gegeben; damals mussten manche Menschen mit grimmigem Gesicht zur Welt gekommen und mit grimmigem Gesicht gestorben sein, ohne zwischendurch ein einziges Mal zu lächeln.
Aber Geschichte war schwer zu verstehen, mit den guten und bösen Königen und den Perücken und den weißen engen Hosen, in denen Menuett getanzt wurde; und den zwei Prinzen, die in dem schrecklichen Turm saßen und auf das Wasser horchten, das aus einer unterirdischen Höhle auf ihre Gesichter und Hälse tropfte und auf ihre Köpfe, die wie Blumen aus ihren hübschen Blütenkelchkrausen ragten. Sie taten Toby leid, aber er konnte die Geschichte und dieses ständige Streben nach mehr Land und Gold nicht verstehen; und manchmal konnte er auch nicht verstehen, was der Lehrer sagte, und die Worte an der Tafel nicht lesen. Und deswegen wollte er nicht in die Schule gehen, wenn die Ärztin kam.
Oft war er krank und musste in der Schule fehlen. Wenn er krank war, zitterte seine Hand, als wäre ihr kalt, und dann wurde ihm ein dunkler Mantel über den Kopf geworfen, von Jesus oder von Gott, und er kämpfte in dem Mantel, stieß gegen die samtenen Falten, ruderte mit Armen und Beinen in der Luft, bis die Sonne sich erbarmte und wie ein gleißender Kran aus Licht den Mantel, diesen Traum, der sich immer wieder über ihn stülpte, von ihm hob, aber ihn leider auch dort oben behielt – wo am großen weiten Himmel, das hätte Toby gern gewusst. Und dann öffnete er die Augen und sah seine Mutter neben sich stehen, mit ihrem dicken Bauch und der Landkarte aus Nässe und Mehl auf ihrer Sacktuchschürze.
Und er weinte.
Der samtene Mantel kam immer und immer wieder, sodass jedes Mal, wenn Toby nur einen Arm oder eine Hand etwas schneller bewegte, seine Mutter sofort zu ihm kam und fragte:
«Ist was, Toby?»
Und in der Schule sagte Andy Reid: «Geh nur und leg dich hin, Toby Withers, dann kannst du es vielleicht noch abwenden.»
«Es?»
Verstand Andy Reid, was geschah, wenn der Mantel kam mit seinem Wald aus Millionen Falten? Wusste er, warum manchen Menschen eine besondere und einsame Nacht beschert wird, mit eigenem Zimmer, aber ohne ein Fenster, durch das die Sterne hereinschauen können, nach denen die zerlumpte Frau in dem Theaterstück Zodiak ruft?
Deswegen also ging Toby an dem Tag, an dem die Ärztin kam, nicht zur Schule. Er sagte seiner Mutter und seinem Vater Auf Wiedersehen:
«Ja, ich habe ein Taschentuch, und ich sage Bescheid, wenn es kommt», und lief noch vor Daphne los. Daphne war froh darüber, denn sie hatte immer Angst, es könnte passieren, wenn sie mit ihm allein war, und sie würde zusehen müssen, wie er starb oder erstickte, weil sein Gesicht so furchtbar blau wurde und seine Hände zuckten und seine Augen sich verdrehten, bis nur noch das
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