Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frame, Janet

Frame, Janet

Titel: Frame, Janet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wenn Eulen schrein
Vom Netzwerk:
staubigen kleinen Körnern aus einer Papiertüte zu zitronengelben oder rosigen Perlen anschwoll. Sie wusste, dass ein Tropfen Jod auf einer Bananenscheibe die Frucht schwarz macht und so die Stärke darin nachweist; dass Wasser H 2 O ist; dass ein Mann namens Shakespeare in einem Wald bei Athen einen mondschimmernden Traum ersann.
    Aber bei all ihrem Wissen hatte sie nichts über das Leben gelernt, über das unsichtbare Immer, vor dem die Menschen sind wie die Murmeln in einem Spielstand auf dem Jahrmarkt; und ein eitler Zufall presst ihrem geduckten und armseligen Schicksal ein Entgelt ab und überlässt ihm dafür das Recht, sie in die helle oder die dunkle Kiste zu rollen, in eines der kleinen, bemalten Löcher, Plätzchen, wie man sagt, wo sie ihr Leben immer rundherum rollen, in einem frustrierenden Kreis.
    Und am Nachmittag der Aufführung wurde Francie aufgenommen wie eine der Murmeln, noch im silbernen Helm und Brustpanzer und ohne schon verbrannt worden zu sein. Und sie wurde an einen neuen Ort gerollt, weit fort von Frère Jacques und Partizipien und Wissenschaft und Bunsenbrennern und Shakespeare, lausche da, wenn Eulen schrein, wenn Eulen schrein, wenn Eulen schrein.
    An einen neuen Ort, einen hellen oder dunklen, wieder daheim bei Mum und Dad und Toby und Chicks; einer Mum und einem Dad, die den ganzen Tag für sie da waren, als ob sie wieder klein wäre, noch nicht ganz fünf, ohne Schule, nie wieder Schule; ihre Welt lag wie ihr Zahn unter ihrem Kopfkissen, eine Verheißung von Sixpence und nie, nie wieder Schule. Keine schwarzen Strümpfe mehr und keinen Panamahut und keine Bluse und schwarzen Schuhe auf Pump, kein Kaufmann, der die Rechnung mit einem schrecklichen, endlosen Ritual aufspießt, die Spitze des Bleistifts beleckt, der an einer abgewetzten goldenen Kette am Ladentisch hängt, sorgfältig die Preise notiert und die Summe mit größeren Zahlen als üblich hinschreibt, als wolle er sie sich ganz genau merken, weil die Withers ja nicht gleich bezahlten. Der Kaufmann behält sich die Rücknahme vor. Mit der Ruhe des Mächtigen spießt er den Zettel auf den langen Metalldorn, der in einem kleinen hölzernen Viereck steckt; dann schiebt er das Holz sorgsam beiseite, der Zettel durchspießt und zerrissen, aber ohne sichtbares Blut, und die Summe unverletzt und groß, während Francie (oder Daphne oder Toby oder Chicks) ängstlich den Blick abwenden, weil sie sich eine Schuld aufgeladen haben. Den Withers droht Strafe. Wahrscheinlich wird man sie ins Gefängnis werfen. Und wie der Kaufmann den Schuldenzettel glättet, liegt im Druck seiner Hand die Kraft des Richterspruchs und des Schicksals.
    «Hat es Zeit», fragen die Kinder, «bis zum Ende des Monats?»
    «Gewiss, bis zum Monatsende.»
    Doch vor seinem geistigen Auge steht die schimmernde Ahle, der Speer, der Rechnungszettel aufspießt und sicherstellt bis zum Jüngsten Gericht, bis zur Posaune von Jericho, wenn die Toten wie große Bretter aus ihren Gräbern emporschießen.
    Aber wie sollen die Toten alle Platz haben? Sie werden wohl ganz dünn und dicht gepackt sein wie Malzkekse oder wie die rosa Kekse mit Cremefüllung, die sich die Withers nie leisten konnten; oder nur, wenn Tante Nettie mit dem Zug durchkam.
    Für Francie also gibt es jetzt keine schwarzen Strümpfe mehr, die man suchen und stopfen muss, keine Schuluniform mehr, die man waschen, und keinen Panamahut mehr, den man mit Schlämmkreide und Wasser reinigen muss, während die Zeit mahnt: Willst du dich nicht ein bisschen beeilen?, und die Flecken nicht rausgehen, und Francie weint, weil Miss Legget die Hüte inspiziert und auf alle gedeutet hat, die schlapp und nicht sauber waren:
    «Eine Schande», hat sie gesagt. «So, Kinder, jetzt aber marsch, und mit den Zehen zuerst auftreten, marsch ab, alle außer Francie Withers.»
    Francie Withers ist dreckig. Francie Withers ist arm. Die Withers baden nicht am Wochenende, und sie wohnen nicht auf dem South Hill, und sie haben keinen Staubsauger, und für sie gibt es keine Tanzstunde und keine Klavierstunde und keine Geburtstagsfeier und keine Fotos aus dem Dainty Studio, die man am Freitag ins Fenster stellen kann.
    Francie Withers hat einen Bruder, der nicht ganz richtig ist. Sie konnte keine japanische Seide in die Nähstunde mitbringen, sie musste ein einfaches Mulltuch nehmen, so grob, dass Erbsen durch die Löcher passen, weil sie arm ist. Nie sieht man ihre Mutter schick angezogen. Sie haben nichts zum Anziehen, und Francie

Weitere Kostenlose Bücher