Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
Bibel, da sagte? »Du bist ein Imhotep?«, wiederholte er.
Die Antwort sprach dem Mann aus den Knochen, aus seinen Augen, aus seinem Körperbau. Wie viele tausend Jahre waren vergangen? Wie viele Treueschwüre hatten die Imhoteps inzwischen abgelegt? Am Hof von Aztlan? An den vielen Höfen Ägyptens? »Wie kommt es, dass du Jude bist?«, fragte Cheftu.
N’tans verwirrte Miene verriet Cheftu, dass er Französisch gesprochen hatte. Wahrscheinlich gab es den Ausdruck »Jude« noch gar nicht. »Du gehörst den Stämmen an?«
»Du bist ein Verehrer des Einen Gottes«, gab N’tan zurück.
Ein Schrei lenkte sie ab und ließ Cheftu herumfahren. Unter dem langsam dahinziehenden Mond wuchs der Schatz immer weiter an. Je länger die Männer im Sand scharrten, desto mehr Armreifen, Statuen, Votivgaben, Kerzenhalter, Weihrauchgefäße wurden den glitzernden Haufen hinzugegeben.
Die Reichtümer raubten ihnen den Atem, blendeten sie und schlugen sie in Bann. Nicht einmal der Prunk im Grab eines Pharaos hätte es damit aufnehmen können. Und all dies hatte le bon Dieu in seinem Ratschluss den Israeliten zukommen lassen. Talente und Tonnen aus Gold und Bronze, mit Türkisen, Karneol, Jaspis und Jade besetzt. Ornamente aus Silber, Figurinen aus Elfenbein. Im Schatten von Gottes Berg wuchs ein Goldberg heran. Immer weiter drangen die Männer vor und gruben dabei riesige Stücke aus, Samoware und Räder - goldbeschlagene Räder von Pharaos geschlagener Armee -, Statuen, Brustpanzer, Kragen, Armbänder ... Cheftu fühlte sich wie betäubt angesichts dieser Pracht.
»Du und ich, wir werden uns unterhalten.«
N’tan erhob sich aus der Hocke.
»Heute Nacht muss ich alles von diesen Männern fordern. Der Graben zieht sich um den gesamten Berg herum.« Er streckte Cheftu die Hand hin. »Ich heiße Imhotep und stamme einer langen Linie von Imhoteps ab, auch wenn man uns Yofa-set nennt, ein weniger nach Kemt klingender Name, wie er einem Angehörigen der Stämme entspricht.«
Cheftu stand ebenfalls auf. »Ich habe viele Namen, doch nur einer entspricht dem Mann, zu dem ich herangewachsen bin.« Er verbeugte sich.
»Cheftu sa’a Khamese aus Ägypten.«
»Gemeinsam werden wir dem König eines freien Volkes den Schatz eines Pharao bringen«, erklärte N’tan.
Sie knieten Seite an Seite im bläulichen Licht nieder und gruben weiter.
JEBUS
Bald hatte man sich in Jebus an meinen Anblick gewöhnt; tatsächlich hatte ich sogar gelernt, den Krug auf der Schulter zu tragen - wenigstens halb voll. Wieder einmal stieg ich die Stufen hinab und warf einen kurzen Blick auf die Wachen, doch ich blieb still und zurückgezogen. Würde sich eine Frau in meiner Lage nicht tatsächlich so verhalten?
Unten warteten bereits die Frauen aus der Stadt. Ein paar nickten mir zu, aber keine sprach mich an. Als Fremde kam ich immer als Letzte an die Reihe. Gerade als ich den Eimer anhob, um ihn durch das unsäglich kleine Loch hinabzulassen, das immer noch mein Todesurteil bedeutete, hörte ich hinter mir ein Geräusch. Ich wandte mich um und sah, dass es das Mädchen von meinem ersten Tag hier war, die Schwangere.
Ihr Gesicht war von feuchten Spuren überzogen, als hätte sie geweint. Doch andererseits fiel die Beleuchtung hier unten eindeutig in die Kategorie »indirekt«, ich konnte mich also auch täuschen. Nachdem ich vier Eimer Wasser hochgezogen hatte, war ich für den Rückweg bereit. Sobald ich den Krug behutsam auf die Schulter geladen hatte, drehte ich mich um.
Sie weinte tatsächlich. Sie hatte die Hände vors Gesicht geschlagen und bebte lautlos. Ich sah an dem Wachposten vorbei. Er schnitzte vor sich hin und gab sich alle Mühe, uns nicht zu beachten. Auch wenn mir das vollkommen geistlos vorkam, beugte ich mich vor und flüsterte: »Hakol b ’seder?« Ist alles in Ordnung?
Augenblicklich versiegten ihre Tränen. Sie sah auf, offenkundig fassungslos, dass ich sie angesprochen hatte.
Oder überraschte es sie, dass ich sie beim Weinen ertappt hatte? »Ken, ken«, sagte sie und nickte hastig dabei, ohne meinen Blick zu erwidern. Ihre Hände schoben sich schützend vor ihren Bauch. Einen Moment lang blieb ich schweigend vor ihr stehen, dann zuckte ich mit den Achseln und wünschte ihr einen guten Tag.
Als ich die Treppe - die ich mit Inbrunst hasste - zur Hälfte hinaufgestiegen war, hörte ich Schritte hinter mir. »Isha?«, rief sie. »Isha?«
Vorsichtig meine Balance und die des Kruges wahrend, wandte ich mich ihr zu. »Ich heiße
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