Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
war. Er kam um eine Biegung und sah nach oben.
Wie eine Burg stieg der Berg aus dem Wüstenboden auf. Zwei Gipfel zeichneten sich kohlenschwarz gegen den blauen Himmel ab. Keine Menschen, keine Tiere, nur der Berg. Hatten sie überhaupt das Recht, in Gottes Festung einzudringen?
Die Führer deuteten den Hügel hinunter. Die Führer selbst würden nicht mitkommen, sie würden nicht in das Tal der
Amaleki hinabsteigen oder gar den Berg Gottes betreten.
Cheftu übernahm die Esel mit dem übrig gebliebenen Proviant, dankte den Führern und machte sich an den Abstieg in Richtung Har Horeb - Moses’ Berg.
An ein paar struppigen Büschen und Bäumen vorbei, die aus der trockenen Erde aufragten, durchquerten sie die Ebene auf den größer werdenden Berg zu. In der Abenddämmerung hatten sie den Fuß erreicht. Vierzig Jahre waren vergangen, seit die letzten Angehörigen der Stämme hier gewesen waren. Trotzdem waren die Spuren ihres Aufenthalts unübersehbar. Die Lagerbefestigungen waren ebenso zu erkennen wie die Steinhaufen, die anzeigten, wo die einzelnen Stämme gelagert hatten. Die Sklaven, von denen viele den Stämmen angehörten, machten sich sofort ans Werk, das Lager neu aufzubauen.
Cheftu wanderte unterdessen am Fuß des Berges entlang und sah sich um. Schlampig in den Stein gehauene Inschriften verkündeten, dass es den Tod bedeutete, diesen Berg zu berühren, außerdem war etwa alle zehn Meter ein kleinerer Steinhaufen als Grenzstein aufgeschichtet.
Als Cheftu den Altar für das goldene Kalb entdeckte, spürte er, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich. Seitlich war eine unbeholfene Darstellung eingeschnitten, auf der die Göttin Hathor verehrt wurde. Wo hatten sie bloß das Gold versteckt?, fragte er sich. Doch ein Ruf hielt ihn davon ab, danach zu suchen. Eben traf die zweite Abteilung ein. Offenbar hatten Chef-tus Führer sie quer durch die Wüste geführt und dabei einen anderen Weg genommen als die Angehörigen der Stämme und Moses.
Wo hatte Gott mit den siebzig B’rith gespeist?
Nachts, nachdem die zweite Gruppe ihr Lager aufgeschlagen, gespeist und gerastet hatte, baute sich N’tan vor ihnen auf. Der Berg glühte bläulich, Millionen - oder »Milcharden und Aber-milcharden«, wie Chloe sagen würde - von Sternen prangten am Himmel. Der Mond war nur eine schmale Sichel und legte kaum Licht auf N’tan. Der Prophet führte die Männer durch einen Psalm nach dem anderen und punktierte die Nachtluft mit »Sela«-Ruten.
Cheftu merkte, wie der Rhythmus ihn ergriff und seinen Geist durchfuhr, bis ihm jede nur erdenkliche Tat vollkommen normal erschien. Wie ein Mann folgten die Männer N’tan und bauten sich jeweils zwischen zwei Grenzsteinen auf. Cheftu hatte das Gefühl, außerhalb seines Körpers zu stehen, so teilnahmslos beobachtete er, wie vierzig Männer im Dreck zu buddeln begannen.
Er hatte schon eine ganze Weile gegraben und mit bloßen Händen die Erde in seinem Bereich zwischen zwei Grenzsteinen weggeschabt, als er plötzlich etwas spürte, Stoff? Überall um ihn herum wühlten die Männer eingewickelte Päckchen aus dem Sand. Er packte den Gegenstand mit beiden Händen und zog. Das unförmige Objekt löste sich so unvermittelt aus dem Boden, dass er auf den Rücken kippte und das Ding auf seiner Brust landete.
Mit bebenden Fingern fummelte Cheftu an dem Stoff herum und riss ihn mit einer Gier beiseite, die er sich niemals zugetraut hätte. Staunend hielt er seinen Fund in das blaue Licht des Berges. Ein Götzenbild, eine Statue aus reinem Gold - mit herausgeschlagenem Gesicht.
>»Ihr sollt euch kein Bildnis machenc, so hat Shaday verkündet«, sagte N’tan in seinem Rücken. »Sieht er aus wie einer der Götter, die du angebetet hast, Sklave?«
Cheftu buddelte weiter im Sand. In gemeinschaftlicher Arbeit hoben sie einen Graben aus, den die ersten Zekenim mit dem Gold der Ägypter gefüllt hatten.
Geisterhaft im blauen Licht des Horeb leuchtend, kniete N’tan neben ihm nieder. Und endlich erkannte Cheftus fehlerfreies, wenngleich langsames Gedächtnis ihn unter dem langen Haar und dem jugendlichen Aussehen wieder.
»Du bist ein Imhotep!«
Der Hochmut im Gesicht des Tzadik war wie weggefegt.
»Und du bist der Reisende, der Nomade in den Leben meiner Familie.« Seine Augen wurden groß. »Ist die pelestische Göttin die andere?«
War Cheftu so vom Licht, vom Mysterium und Mirakel dieses Ortes durchdrungen oder hatte er wirklich gehört und verstanden, was N’tan, der N’tan der
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