Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
Pestnarbe.
»Ihr wisst, dass der Thron den Tod bringen kann?«, fragte Cheftu fassungslos.
» Ken , und das ist einer der Gründe, warum nur die Priester Levis in seine Nähe dürfen. Nur sie werden schon als Kinder angesteckt.« Er ging neben Avgay’el in die Hocke. »Sie muss ihm zu nahe gekommen sein.«
»Was können wir für sie tun?«, fragte Cheftu. »Ohne Hilfe wird sie sterben.«
N’tan sah ihn mit dunklen Augen an. »Wir können für sie beten, unser Wort für sie einlegen.«
Wie konnte er noch an Gott glauben, nachdem eben erst seine Frau gestorben war? »Es gibt keine Medizin dagegen? Keine Kräuter?«
»Wir müssen ihr Fieber senken.« N’tans Hand legte sich auf eine der prallen, blutgefüllten Beulen an ihrem Hals. »Sie war eine so schöne Frau. Was für eine Tragödie.«
Was für eine Ironie, dachte Cheftu. Diese Seuche würde im vierzehnten Jahrhundert ein Viertel der europäischen Bevölkerung auslöschen, doch die Leviten infizierten ihre Kinder absichtlich damit. Damit sie überlebten. »Was macht die Lade so gefährlich?«, fragte er.
N’tan zuckte mit den Achseln. »Die Macht el haShadays.«
Cheftu badete Daduas Weib in eisigem Wasser und unternahm alles, um ihren Leib zu kühlen. Das Fieber war so hoch, dass ihr das Haar büschelweise ausfiel. Immer wieder hustete sie Blut und sank dann in tiefen Schlaf zurück. Auch wenn er sich dabei wie ein Großinquisitor vorkam, zwang er sie zu trinken, obwohl sie kaum schlucken konnte, und ließ sie immer weitertrinken, trotz ihrer Proteste, dass sie keinen weiteren Schluck mehr aufnehmen könne. Doch sie trank, sie urinierte und trank dann noch mehr. Würde er die Krankheit aus ihrem Körper spülen können? Wie hatte sie sich überhaupt angesteckt?
Sie hatte die Bundeslade nicht einmal berührt. Nur auf eine einzige Weise konnte die Krankheit vom Thron in ihren Leib gelangt sein ...
Durch die Flöhe.
Man hatte mich schon öfter eingesperrt. Der einzige spürbare Unterschied war, dass man mich diesmal nicht in die Zelle gestoßen hatte und dass man mir zu essen gab. In jeder anderen Hinsicht war dieser unterirdische, von einer mickrigen Lampe erhellte Raum genau wie alle anderen Gefängnisse.
Die Pest?
Ich hatte bereits zwei oder drei Tage lang müßige Nabelschau betrieben, als Dadua sich zu mir gesellte. Nicht mal für einen Espresso und ein Päckchen Camels hätte ich schneller reagiert. Zufällig war ich gerade dabei, Selbstgespräche oder eher Gespräche mit Gott über die Absurdität des Lebens, die Freiheit und die Suche nach dem Glück zu führen.
»Ist unser Leben nur ein Spiel?«, fragte ich eben laut, um Dampf abzulassen. »Wir werden von einer Zeit in die nächste verschleppt und in Situationen geworfen, wo uns nichts ande-res übrig bleibt, als das zu tun, was du sagst!« Ich starrte dem Unbekannten ins Gesicht. »Haben wir denn gar keinen freien Willen mehr?«
»Was für eine Sprache sprichst du da?«
Ich wirbelte herum. Keine dreißig Zentimeter hinter mir stand der Bezwinger Goliaths, der poetische Psalmist Israels, der x-fache Urgroßvater Jesu. »Mein, mein ... Adon«, verbeugte ich mich hastig.
»Wie geht es dir?« Er blickte sich um. »Hier ist es ja muffig wie in einem Gefängnis«, stellte er fest. »Wie viele Tage müssen wir hier ausharren?«
Ich merkte, wie ein eigenartig friedliches Gefühl sich meiner bemächtigte. Strahlte Dadua etwa ein Kraftfeld aus? »Ich weiß es nicht. Wie geht es Avgay’el?«
Dadua seufzte. »Sie weilt noch in diesem Leben, doch sie ist sehr krank.«
»Ich leide mit dir.«
»Sie ist eine gute Frau, eine bessere, als ich verdient habe«, meinte er nachdenklich. Er lehnte sich gegen die Mauer und ließ sich dann auf den Strohhaufen mir gegenüber sinken. »Was hast du Shaday eben gefragt?«
»Du, du hast mich verstanden?« Ich war schockiert. Mehr als schockiert.
Er lachte kurz. »Nicht die Worte, aber den Nefesh dahinter, ken. Ich erkenne den Tonfall wieder.« Er sah mich an, ein Ro-setti mit Leidensmiene. »Was hast du ihn gefragt?«
Warum sollte ich nicht David fragen? Ich meine, wenn jemand Gott kannte, dann doch er, oder? Ich fuhr mit der Zunge über meine Lippen und kämpfte ein hysterisches Lachen nieder. Ich würde mit dem König Israels plaudern und gleichzeitig abwarten, ob ich die Pest bekam. Mannomann, das Leben konnte ganz schön verrückt sein. »Ich wollte wissen, ob ich immer noch einen freien Willen habe.«
»Weil du Sklavin warst?«
Instinktiv fasste ich an
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