Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
Fieber bekommen? Auf dem College hatte ich mit einer Frau zusammen im Zimmer gewohnt, bei der das so war. Das Tuch war bereits zum dritten Mal getrocknet. Der Morgen begann zu dämmern. Mir tränten die Augen, und dann packte mich das Grauen. Avgay’el bibberte, hustete, spuckte noch mehr Blut und begann das Licht zu fürchten. Ich gab mir alle Mühe, ihr Flüssigkeit einzuflößen, doch als ich ihre Zunge sah, war es mit meiner Beherrschung vorbei. Sie war weiß. Bis zum Vormittag hatte sich ihr ganzer Leib mit hellgrauen Kreisen überzogen.
Was hatte das zu bedeuten? Wo blieb Cheftu?
Bis zum Nachmittag war sie mit schwarzen Quaddeln übersät und am Hals, in den Achseln und im Schambereich waren ihr grässliche Beulen gewachsen. Endlich tauchte auch Cheftu auf, blutbefleckt und mit blutunterlaufenen Augen. »Was war denn los?«, fragte ich.
»Die Entbindung von N’tans Sohn war eine Katastrophe«, antwortete er. »Seine Frau hat nicht überlebt.«
»Sie ist tot?«
Cheftu wischte sich das Gesicht ab; wenigstens waren seine Hände sauber. »Ken. Das Kind ist sehr schwach.« Ich trat vor, und er erblickte Avgay’el. Mein Mann erstarrte, dann kniete er neben ihr nieder, ohne sie zu berühren. »Raus«, befahl er in klarem Englisch.
»Wieso? Was? Cheftu -«
»Verflucht, Chloe, raus hier, und zwar sofort! Alle außer den Priestern sollen verschwinden! Versiegelt die Räume und lasst niemanden herein.«
So hatte er noch nie mit mir gesprochen; ich hörte das Entsetzen in seiner Stimme. Ich zögerte noch einen Augenblick. »Sie hat die Beulenpest.« Er sah mich an. Seine Augen waren weit aufgerissen, bernsteingelb, braun - und voller Angst. »Raus!«
»Ihr müsst in Quarantäne«, sagte N’tan. »Chavsha besteht darauf.«
»Das mit deiner Frau tut mir Leid«, sagte ich.
Er sah weg. »Todah.«
»Solltest du nicht eigentlich trauern? Ich kann auf mich selbst aufpassen, ich kann sogar selbst in Quarantäne gehen«, bot ich ihm an. »Sie gehörte nicht zu meiner Familie«, antwortete er monoton. »Ich werde sie nicht betrauern.«
»Mah?«
»So will es das Gesetz.«
Ich wollte schon loszetern, doch in diesem Moment sah er mich an. Sein schmales, aristokratisches Gesicht war verkniffen, und unter seinen Augen lagen tiefe, graue Schatten. »Wie geht es deinem Sohn?«
Ein Lächeln zuckte kurz um seine Mundwinkel. »Er ist wunderschön, ein Geschenk Shadays.«
»Wie heißt er?« Ich fragte nicht aus Höflichkeit; ich merkte, dass ich ihn unbedingt wissen lassen wollte, wie sehr ich mit ihm fühlte und mich mit ihm freute.
»Ich werde ihm am achten Tag einen Namen geben.«
Noch mehr Bräuche, noch mehr Gesetze.
»G’vret, du warst genau wie Dadua in Avgay’els Nähe. Ihr beide müsst ein paar Tage von den anderen abgesondert werden, bis feststeht, dass ihr euch nicht angesteckt habt. Dein Gemahl will es so.«
Die Beulenpest. Eine erschütternde Vorstellung. Ich hatte mich mit europäischer Geschichte beschäftigt - wurde diese Krankheit nicht von Ratten übertragen? War Avgay’el etwa von einer Ratte gebissen worden? Ich wusste, dass mir das nicht passiert war, doch wenn Cheftu so viel daran lag, würde ich ein paar Tage Urlaub machen. Nachdem sich in den letzten Tagen und Wochen die Ereignisse derart überschlagen hatten, wäre das ganz angenehm.
Was die Pest betraf, irrte sich Cheftu doch bestimmt? Es gab hier keine Ratten.
»Was können wir für sie tun?«
»Ich weiß es nicht, ich habe keine Ahnung, woher sie die Krankheit hat«, sagte Cheftu. Er sah, wie Avgay’el schauderte, und benetzte ihre glühende Stirn mit feuchten Tüchern. »Und du? Wie ergeht es dir?« Cheftu konnte sich nicht einmal aus-malen, wie ihn der Verlust seiner Frau quälen musste. Eine Geburt barg große Gefahren. War er sicher, dass er Chloe, dass er ihr Leben einem solchen Risiko aussetzen wollte?
N’tan zuckte mit den Achseln. »Du zeigst keine Angst vor dieser Seuche«, sagte der Prophet. »Wie kommt das?«
»Du auch nicht«, entgegnete Cheftu.
»Ach, nun, über mich hat sie keine Gewalt.«
Cheftu drehte sich um und sah den Tzadik über die Schulter hinweg an. »Wie ist das möglich?«
»Jeder, der möglicherweise mit dem Thron in Berührung kommt, weil er unter den Levim dient, wird absichtlich angesteckt, damit er nie wieder krank werden kann.« Der Priester krempelte den Ärmel hoch und winkte Cheftu heran. Dort, in N’tans haariger Achselhöhle, war eine kaum zu erkennende Narbe gewachsen - eine
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