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Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Titel: Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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sagte Zorak, »ich muss dich wieder nach unten bringen. Ich weiß nicht, in welchem Hof wir hier sind.«
    Wir befanden uns innerhalb der aus Stoff bestehenden Einfriedung, nur wenige Schritte von jenem Zelt entfernt, in dem eines Tages die Bundeslade aufbewahrt würde. Gierig sog ich jedes Detail auf. Die Wände bestanden aus gewebten Stoffbahnen und waren an Stangen befestigt, die eine Art Umzäunung für das Versammlungszelt bildeten. Zu beiden Seiten der bronzenen Meere, die Dadua uns auf seinem Plan gezeigt hatte, waren mannshohe Kerzenständer aufgebaut. In der Mitte stand die grellbunte Stiftshütte, deren Front mit violetten, blauen und roten Streifen gemustert war. Davor erhoben sich zwei Säulen, die einzigen festen Bauten in der Nähe. Sie waren dick wie Mammutbäume und oben mit einem Fries von Granatäpfeln und Trauben ausgekehlt.
    Ein Wind fuhr über das Plateau; automatisch bückte ich mich, um meine Schuhe auszuziehen. Im Jerusalem des zwanzigsten Jahrhunderts stand auf dem Tempelberg der Felsendom. Mein Vater hatte mir erzählt, dass streng religiöse Juden den Tempelberg nicht betraten, da sie nicht wussten, wo genau sich der Altar befunden hatte und sie nicht unabsichtlich auf diese Stelle treten wollten. Jetzt begriff ich, was sie empfanden.
    Schrecken, Freude, Ehrfurcht.
    Gottes Berg.
    Wie waren wir hierher gekommen?, fragte ich mich, während Zorak mich die Treppe hinuntergeleitete, die direkt von den städtischen Kalksteingruben in den Innenhof um die Stiftshütte führte - dort wo einst der Tempel stehen würde.
    Wieder landeten wir am falschen Ende, doch schließlich er-reichten wir, schon im Dunkeln, die Straßen der Stadt.
    »Wann wird das Fest beginnen?«
    »Sieh doch, G’vret, es hat bereits begonnen.«
    Und tatsächlich gab es überall in der Stadt aus Palmblättern zusammengeflickte Unterstände, aus denen der Schein der Lampen die Nacht durchflocht. Plötzlich fühlte ich mich unsagbar einsam. »Ist dies schon wieder so ein Fest, bei dem die Männer nach Qiryat Yerim ziehen?« Ich merkte, wie sehr ich Cheftu vermisste.
    »Lo, Klo-ee, von nun an befindet sich die Stiftshütte hier, daher werden die Feierlichkeiten ebenfalls hier stattfinden. Morgen findet die Prozession statt, mit der die acht Tage offiziell beginnen.«
    Wir wünschten einander Gute Nacht, und ich stolperte hungrig, schmutzig und sehnsüchtig heimwärts. Mein Mann wartete mit einem warmen Essen, einem warmen Bad und offenen Armen auf mich. Ich genoss eines nach dem anderen, wenn auch nicht in dieser Reihenfolge.
    Der Shofar verkündete den Beginn der Feiern. Gesänge wehten durch mein Fenster herein, was an und für sich nicht ungewöhnlich war, in dieser Lautstärke allerdings schon. Auf den Straßen drängten sich die Menschen, die Angehörigen der Stämme aus der Umgebung, die allesamt dem Hügel oberhalb der Stadt entgegenzogen. Von hier aus konnte ich auch die Stiftshütte ausmachen, die Gottes Allmacht abschirmte.
    Nach den Vorfällen der letzten Woche fühlten wir uns unter einem solchen Schutz wohl alle sicherer. Innerhalb des Geländes stand das kleinere Zelt, Gottes Heim. Das warme Licht des Sonnenuntergangs strahlte auf den Tafelberg und überzog ihn mit flüssigem Gold. Mit Früchten beladene, blumengeschmückte Ochsen und Esel wurden zum Zelt hinaufgeführt. Nebenher eilten, mit Kuchen und Ölkrügen vollgepackt, die Stammesangehörigen, deren Freude nur durch die Furcht gedämpft wurde, ob ihre Gaben wohl angenommen würden.
    Irgendwie musste es ganz angenehm sein, sofort zu erfahren, ob Gott einem wohl oder übel gesonnen war. Falls der Regen einsetzte, meinte er es gut. Falls nicht, dann nicht.
    Man brauchte sich nicht zu verstecken, man brauchte sich keine Fragen zu stellen, man brauchte nicht lange zu bangen. Andererseits wirkte eventuelle Reue nicht spontan ertragssteigernd. Niederschlag und Bodenqualität bestimmten die Fakten. Wo die Bundeslade mit ihrer zerstörerischen Sprengkraft dabei ins Spiel kam, war mir unerfindlich.
    »Hosianna!« Singend zog die Menge an uns vorbei, denn wir waren Heiden und nicht in Gottes Nähe zugelassen. Sie veranstalteten einen ziemlichen Lärm; oder vielleicht war ich zum ersten Mal während meiner Reisen durch die Zeit wirklich ein Teil der Menge. Dass ich es wirklich hörte, war unwirklich. Bevor wir wussten, wie uns geschah, wurden Cheftu und ich von der Prozession mitgezogen und von der wandernden, aufgeregten Menge aufgesogen. Mit festem Schritt und im Rhythmus

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