Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
sie von der Kiste auf die Menschen übergeht, ohne dass diese den Thron berühren, weiß ich nicht. Darum ist jede Berührung verboten; und genau das ist gestern geschehen. Ich habe gehört, aus der Kiste seien Blitze geschossen.«
RaEm schlug ihn beim letzten Zug. Sie gab sich alle Mühe, nicht zu lächeln. In der Kiste waren Blitze? Bedeutete das einen Segen Hathors? Oder bewies dadurch der Aton seine Existenz?
Hiram wirkt überrascht.
»Du spielst auf Sieg, Meine Majestät.«
»Du sprichst meine Sprache fließend, Zakar«, entgegnete sie. »Wie kommt das?«
»Ich habe einst die Gesellschaft eines ägyptischen Schreibers genossen«, antwortete Hiram langsam und studierte dabei angestrengt das Spielbrett.
»Genau wie ich«, gab RaEm lachend zu.
»Sag an.« Wieder schaute er sie mit seinen dunklen Augen an. »Bist du je auf die Inseln des Großen Grüns gereist?«
»Du von allen Menschen solltest die Ägypter kennen, Zakar. Um genau zu sein, vor gar nicht langer Zeit hast du Wenaton, unseren Botschafter, so herablassend behandelt, dass du ihn am Rande eines Nervenzusammenbruchs heimgeschickt hast.«
Er lachte, doch sein Blick blieb eindringlich. »Bist du in Ägypten geboren?«
»Ja, Zakar.«
»Bitte nenn mich doch Hiram.«
»Wie du wünschst.« Sie nannte ihm absichtlich nicht ihren Namen. Sie spielten fast wortlos noch ein paar Runden. Sklaven traten ein und zündeten Lampen an, brachten ihnen dann etwas zu essen und schenkten ihre Becher nach.
Schließlich ließ er sich zurücksinken. »Wieso bist du hier?«
»Um mit dem neuesten König zu sprechen«, log sie glatt.
»Wir wissen beide, dass das nicht stimmt«, sagte er. »Du würdest mir Respekt erweisen, indem du mir erklärst, dass mich das nichts angeht, aber glaube nicht, dass ich mich mit einer derart stümperhaft zusammengesponnenen Ausrede abspeisen lasse.«
»Dann sag du mir«, feuerte sie zurück, »wieso du hier bist.«
Er trank seinen Wein aus, setzte den Becher ab und sah sie an. Seine Augen waren dunkel und mit langen Wimpern besetzt. Seine Gesichtszüge waren perfekt modelliert, angefangen von der geraden Nase und der hohen Stirn über das kantige Kinn bis zu den sinnlichen Lippen, den vollen Wangen, der
Form seines Kopfes. Er war exquisit, er war zu schön, um wahr zu sein.
Sie vermisste Echnaton mit seinem traurig missgeformten Kopf und Körper, seinem bohrenden Blick und seiner tiefen, vollen Stimme. Obwohl er sie verstoßen hatte, begehrte sie ihn immer noch. Und genau darum verabscheute ihn RaEm, denn jetzt war ihr Leben nur noch ein Scherbenhaufen, der nie wieder gekittet werden konnte.
Hatte Horetamun seinen Auftrag erfüllt? Die Götter mochten ihr dafür vergeben, dass sie die perfekte Leidenschaft aufgegeben hatte.
Hiram war ein schöner Mann, doch ihm schien die Seele zu fehlen. Seine Augen waren ohne jeden Glanz. Er wandte den Blick ab. »Meine Pläne haben sich geändert«, antwortete er langsam. »Ursprünglich bin ich gekommen, um Dadua einen Palast zu erbauen.«
»Wieso solltest du das tun?«
»Ich habe keine Armee, um mich gegen dieses Volk durchzusetzen, darum muss ich subtiler vorgehen.«
»Du inszenierst eine Invasion von Zimmerleuten?«
Er lachte kurz. »Ich baue ihm eine Stadt, in der ich mich auskennen werde und er nicht. Sobald der richtige Zeitpunkt gekommen ist, kann ich mich mit einem anderen Herrscher verbünden und die Stadt einnehmen. Ich will Tziyon haben; mir gefällt die Lage, die Straßen, der Blick über die umliegenden Täler. Und vor allem will ich die Kontrolle über die Straße der Könige.«
RaEm konnte kaum fassen, dass er ihr einfach so seine Absichten verraten hatte. Entweder war er vollkommen unbedarft, oder er hielt sie dafür. »Treibst du Späße mit mir?«, fragte sie kühl. »Ich lasse mich nicht für dumm verkaufen.«
Wieder heftete er seine Augen auf sie und durchbohrte sie mit seinem seelenlosen Blick. »Nein, ich besitze die Kühnheit, dir meine wahren Absichten zu verraten. Wirst du mir dieselbe
Ehre erweisen, Sybilla?«
»Gold«, antwortete sie knapp.
Er starrte sie lange an, dann warf er den Kopf in den Nacken und lachte. »Ich scheine in letzter Zeit den Verstand zu verlieren«, sagte er. »Du hast es immer noch nicht gemerkt - aber wie ist das möglich?«, fuhr er leise fort. »Was habe ich mir nur davon erhofft?«
RaEm sah ihn zweifelnd an. »Du hast eine Frage gestellt, und ich habe dir Respekt erwiesen und dir darauf geantwortet. Worüber lachst
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