Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
eine beschämende Reaktion vor. In meinen Adern floss das Blut von Soldaten, von Cromwells Zeiten angefangen bis zu dem Fiasko von Vietnam. Diese Männer hatten verdient, dass jemand zusah und Zeugnis nahm von ihrer Tapferkeit.
In diesem Moment wurde ich zur Pelesti. Das Volk, mit dem ich gespeist hatte, mit dem ich gelächelt und gelacht hatte; es wurde mein Volk.
Nach einer Weile war ich vollkommen taub geworden. Taka-la und Wadia standen an meiner Seite und schauten zu. Der Gestank von Blut und Exkrementen wehte zu uns herauf. Uns an den Händen haltend verfolgten wir, wie der Stolz der Pelesti, ihre Pferde und Streitwagen, das Todesurteil über ihre Soldaten fällte.
Die verbliebenen Pelesti versuchten, über das Gewirr aus Holz und Pferdefleisch hinwegzuklettern, das sie in dem Tal gefangen hielt. Die Pferde bäumten sich auf, in Todesangst versetzt durch den Blutgeruch und aufgescheucht durch das Kreischen der Schwerter und Männer, und versuchten sich zu befreien. Letztendlich töteten sie wahrscheinlich ebenso viele
Pelesti wie die Hochländer. Wem es gelang, aus dem Flaschenhals zu entkommen, der floh in Richtung Lakshish.
»Wir müssen weg von hier«, sagte Takala. »Wir müssen Wadia nach Ashdod oder Gaza bringen.«
Ich drehte mich zu ihr um; plötzlich kam mir alles vollkommen unwirklich vor. Kaum hatte sie das »za« ausgesprochen, da begann ihr Körper zu zappeln. Ihre Augen wurden groß, dann zuckte ihr Leib erneut zusammen. Im gleichen Moment wuchs ein roter Fleck auf ihrem blauen Kleid; ihr Blick wurde glasig, doch die Augen blieben offen. Ich rief Wadia herbei, damit wir gemeinsam ihren Fall ein wenig abfederten.
Etwas knackste zweimal und sie schrie auf. Sie blutete schwer, ihre Haut wurde kalt, dann setzten die Schmerzen ein. »Derkato«, keuchte sie, »du musst Wadia fortbringen. Ihr müsst weg von hier.« Sie war zweimal in den Rücken getroffen worden; im Fallen waren beide Schäfte abgeknickt, und die Spitzen hatten sich tief in ihr Fleisch gebohrt.
»Wir können dich nicht allein lassen.« Ich war damit beschäftigt, sie in einen Mantel zu hüllen, den ich unter ihrem Hals feststeckte.
»Er ist der Kronprinz«, flüsterte sie.
Meine vorhin so leicht dahingesagten Worte, mit denen ich ihn umgestimmt hatte, kamen mir wieder in den Sinn. Sie hatten sich bewahrheitet. Er war der letzte überlebende Prinz.
»Du musst ihn nach Gaza oder Ashdod bringen«, sagte sie.
»Was ist mit -«
»Ich sterbe, du nutzlose Göttin!«, schnaufte sie. »Lass mich bei meinen Soldaten! Geht! Sofort!«
Wadia hielt ihre Hand und weinte. Sie drückte sie und lächelte ihn an. »Sei klug, mein Sohn. Geh jetzt.«
»Ich kann dich doch nicht -«
»Du bist der König, Wadia. Du bist es deinem Volk schuldig.« Takala starrte ihm in die Augen, obwohl schon Schweiß auf ihrer Stirn perlte. Jemand zupfte an meinem Arm, und ich
sah meine Hand nach Wadias fassen.
»Du.« Takala sah mich wutentbrannt an. »Du bist für die Stadt verantwortlich - du bist unsere Göttin -« Ihre Worte gingen in einem Schrei unter, denn die Schmerzen hatten sie übermannt. Ich zog Wadia, der mir blindlings folgte, fort.
Noch im Weglaufen wurden wir von unzähligen Todesschreien eingeholt. Wadia kehrte an den Rand des Hügels zurück und zog mich dabei mit. Die Soldaten, die so tapfer gekämpft hatten, um über die Hindernisse hinwegzuklettern und sicher nach Hause zu kommen, wurden nun gnadenlos abgeschlachtet. Die nächste Truppe von Hochländern ergoss sich aus den Hügeln unter uns und fiel über die erschöpften, verängstigten Pelesti her. Die Philister wehrten sich und kämpften, doch sie waren bereits geschlagen. »Nein«, flüsterte ich, zu entsetzt, um darauf zu achten, was ich sagte. »Bitte, lieber Gott, nein.«
Ein Soldat packte mich grob am Arm und schleifte mich den Berg hinunter. Ich wiederum zog Wadia hinter mir her. Der Soldat schubste mich und Wadia in einen Streitwagen.
»Fahrt nach Ashdod«, befahl er. »Sagt ihnen, wir brauchen Verstärkung!«
Er hatte den Pferden bereits die Peitsche gegeben; ohne dass jemand die Zügel hielt, rumpelten wir über den unebenen Boden. Soldaten umringten uns, Hochländer mit blutdurstigem Blick, Bärten, glänzenden Helmen und ihren ständig wiederholten Schreien: »Shaday reitet mit den Elohim!«
Ich packte die Zügel und versuchte unbeholfen, die panischen Pferde unter Kontrolle zu bekommen. Wadia stieß mich beiseite und brüllte mich an, in Deckung zu gehen. Er peitschte
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