Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
die Pferde nochmals und schleuderte mich zu Boden, während wir in wilder Fahrt den Hügel hinabholperten und -polterten. Die Knochen klapperten mir im Leibe, und die Zähne flogen mir fast aus dem Mund. Wir rasten bergab bis ins flache Gelände, doch auch da wurden wir nicht langsamer. Ich riss mich
zusammen und rappelte mich auf.
Sein Blick war stumpf; das arme Kind hatte einen schweren Schock. Er hatte mit angesehen, wie sein Bruder umgebracht, seine Mutter erschossen und sein Volk massakriert worden war. Ich konnte mir seinen Schmerz nicht einmal ausmalen, doch ich wollte vermeiden, dass er jetzt durchdrehte. Dazu gab es zu viel zu tun. »Erzähl mir von damals, als die Pelesti den Teraphim der Hochländer geraubt haben«, rief ich ihm über das Getrappel der Pferde hinweg zu. Hauptsache, ich brachte ein wenig Leben in seine Augen zurück.
»Das war bei einer Schlacht«, sagte er, als läse er den Text von einem Teleprompter ab. »Wir haben die Schlacht gewonnen, darum haben wir ihr Totem als Trophäe genommen.«
»Wieso?«, fragte ich. »Wozu denn?«
»Wir wollten es durch ha Hamishah tragen, damit alle Menschen sehen, dass Dagon ihrem Gott überlegen war, dass wir den Gott der Hochländer gefangen genommen hatten.«
»Und warum hat das nicht geklappt?« Meine Fragen klangen genauso einstudiert wie seine Antworten.
Ein Hauch von Farbe kehrte in seine Wangen zurück, außerdem wurden wir allmählich langsamer. »Ihr Totem war todbringend. Wer es berührte, musste sterben. Sobald jemand in seine Nähe kam, bekam er Geschwüre und starb schließlich.«
»Die Hochländer hatten es vermint?« Offenbar gab es in seiner Sprache den Begriff »vermint« nicht. Er wurde mit »zum Bösen entstellt« übersetzt.
Er zuckte mit den Achseln. »Der König von Ashdod schickte das Totem nach Gaza. Dort starben noch mehr Menschen. Dann schickten sie es nach Lakshish. Der dortige König wollte es nicht haben, weil in nur fünf Monaten fast zwanzigtausend Pelesti gestorben waren.« Endlich kam sein Blick auf mir zu liegen. »Sie hatten uns hintergangen. Wenn man das Totem eines Volkes gefangen nimmt, muss es einem nützen, nicht schaden.«
Ich nickte.
»Dann vermutete der König von Lakshish, dass das Totem so todbringend sei, weil es uns zürnte. Man hatte ihm nicht die angemessene, ehrerbietige Behandlung zukommen lassen, die ein Gott verdient und erwartet. Darum schickten wir es in den Tempel des Dagon in Ashqelon. Es ist der heiligste Ort in ganz Pelesti.«
»Und was geschah dort?«
»Nach der ersten Nacht fanden die Priester die Statue Dagons in zwei Hälften zerbrochen am Boden liegend. Das Totem der Hochländer war ihr gegenüber aufgestellt worden.«
»Das hat den Priestern bestimmt zu schaffen gemacht.«
Damit war klar, dass die Bruchstellen, die ich gesehen hatte, nicht auf mangelnde Kunstfertigkeit, sondern auf das Totem der Hochländer zurückzuführen waren. Was war das Totem der Juden?
»Genau. In der nächsten Nacht geschah das Gleiche, diesmal wurden Dagons Hände abgebrochen.«
Ein Meeresgott ohne Hände war wie eine Papiertür an einem U-Boot, nämlich absolut nutzlos.
»Augenblicklich schickten die Bürger von Ashqelon das Totem zurück nach Lakshish. Die dortigen Priester, das heißt diejenigen, die den ersten Besuch des Totems überlebt hatten, sagten: >Lo lo lo!<, stellten es auf einen Karren und fuhren es ins Hochland.« Seine Augen begannen zu glänzen. »Doch als es dort ankam, war es immer noch wütend, das haben die Spione berichtet, die dem Karren folgten, denn es tötete auch die Hochländer.«
Wir hatten eine weitere Anhöhe erreicht - und waren dabei irgendwie auf ein zweites Schlachtfeld gestoßen.
Die Sonne stand schon dicht über dem Horizont, doch wir konnten ganz deutlich die Leichen erkennen, elegant und kräftig und aus kupfer- oder bronzefarbenem Fleisch gehauen. Jetzt lagen sie völlig verdreht da. Ströme von Blut hatten das Gras braun gefärbt und die Bäume bespritzt. Unter den Leichen war es zu glänzenden Pfützen geronnen.
Waren wir im Kreis gefahren, oder hatte diese Schlacht hier schon früher stattgefunden? »Offenbar jagen die Hochländer«
- Wadia spuckte aus, um seine Verachtung zu zeigen - »uns zurück nach Gezer.« Er blickte über die Schulter auf unseren Weg zurück. »Vermutlich haben sie Lakshish umgangen.«
»Wir sollten doch nach Ashdod fahren.«
Wadia sah mich an; sein Blick war gehetzt wie der eines Sechzigjährigen. »Lo, nur ich.«
Takalas
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