Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
glaubte, sie sei sein Spiegelbild, sie beide seien die männliche und weibliche Seite derselben Seele und dazu geschaffen, in Harmonie mit dem Aton zu sein. Außer ihm wusste kein Mensch, was er von ihr halten oder wie er sie auch nur ansprechen sollte. Und dieses arme Mädchen an RaEms Seite wünschte, ihre Braut zu werden.
Das Interessante dabei war, dass RaEm sich den Kopf darüber zermarterte, wie sie mit einem solchen Schauspiel durchkommen konnte. Sie wollte über Ägypten herrschen; doch einer Frau würde man das nicht gestatten, nicht noch einmal. Wie konnte sie Echnaton dazu überreden, sie zum Mitregenten zu machen?
»Ich . ich nähere mich dem zweiten Jahr meines Frauseins«, sagte Meritaton schüchtern. »Vater hat davon gesprochen, mich zu heiraten. Ich .«
Wenn sie nicht schneller sprach, würde RaEm ihr noch den Kragen umdrehen. »Alle deine Schwestern haben deinen Vater geheiratet«, meinte sie.
»Und alle sind gestorben.«
»Was ist mit Anchenespa’aton?«
»Sie ist noch klein und Tuti zugedacht.« Meritaton sah mit Leidensmiene zu ihr auf. »Gefällt sie dir besser?«
RaEm streichelte dem jungen Mädchen das Gesicht.
»Natürlich nicht, sie ist noch ein Kind. Du bist eine bezaubernde junge Frau.«
Meritaton errötete, und ihre braunen Augen huschten verlegen herum. Ich war nie so dumm, dachte RaEm. »Ich ... ich hätte so gerne Kinder«, verriet Meritaton.
Das, meine dumme Lotosblüte, ist genau das Problem.
»Söhne für den Aton?« Jetzt streichelte RaEm Meritatons Haar.
»Ja.« Das Mädchen stand auf und sah RaEm in die Augen. »Du bist so hübsch, fast hübscher als ich.« Sie lächelte. »Ich, ich will auch Söhne für mich selbst. Die ich im Arm halten kann. Ich hoffe, sie werden hübsch.«
RaEm zog ihre Hand zurück. »Alle Kinder, die du bekommen wirst, werden hübsch sein, Meritaton.«
»Ich will sie von dir.«
RaEm starrte sie an, ebenso beeindruckt wie angewidert von der Courage dieses Mädchens. Und in diesem wortlosen Augenblick beugte sich Meritaton vor und küsste sie auf die Lippen. Ihr Mund war weich, nachgiebig, und RaEm reagierte unwillkürlich darauf.
Als sie sich voneinander lösten, waren beide überrascht über das Feuer, das sie entzündet hatten.
»Wirst du mit meinem Vater sprechen?«, fragte Meritaton und legte dabei eine kleine Hand auf RaEms Schenkel.
RaEms Augen wurden schmal. Sie hatte dieses Mädchen unterschätzt. Diese kleinen morgendlichen Besuche waren durchgeplant, als wären sie auf Papyrus niedergeschrieben, und RaEm hatte sich wie ein Esel hinters Licht führen lassen. Die Hand wanderte höher. RaEm erhob sich abrupt.
»Das werde ich.«
Meritaton sprang auf und starrte wieder zu Boden. »Möge dein Tag mit dem Aton gesegnet sein.« Ihre Wangen waren hochrot, und ihre Hände zitterten. Sie reichte RaEm bis zur Brust, ein Mädchen von kaum dreizehn Überschwemmungen.
Das ihren Cousin Semenchkare für einen Knaben von siebzehn Überschwemmungen hielt.
Erst als RaEm schwer seufzte, sah Meritaton wieder auf. Wie man in Chloes Zeit sagen würde: »Scheiß drauf.« Sie gab dem Mädchen noch einen Kuss und genoss dabei die absolute Kontrolle, die sie über dieses Kind ausübte. »Geh in deinen Garten«, befahl sie. »Ich werde heute Nacht mit deinem Vater sprechen.«
Die Tür ging hinter Meritaton zu, und RaEm warf sich auf die Liege. Mit einem Klatschen rief sie den Zeremonienmeister herbei. »Richte der Königinmutter Tiye aus, dass ich heute Abend mit ihr speisen werde. Und dann erkundige dich, ob Meine Majestät Echnaton nach Sonnenuntergang alleine ist.«
Jawohl. Sie würde über Ägypten herrschen.
Der Wind peitschte uns entgegen, die wir am Rande der Anhöhe standen und auf das Schlachtfeld blickten. Mein Gott, ich war auf einem Schlachtfeld. Ich hatte in der Normandie den Omaha Beach und den Utah Beach besichtigt; ich war durch das Shenandoah Valley in Virginia gewandert; Herrgott, ich war sogar auf der Ebene von Troja gewesen - doch nie mit so vielen Menschen zusammen.
In Rüstung.
Und Waffen.
Ich zupfte an meinem paspelierten und spitz zulaufenden Kampfkleid und rückte dann den gefiederten Helm gerade, den man mir aufgesetzt hatte. Ich sah aus wie eine riesige Statue, genau wie beabsichtigt, da ich das Totem darstellte.
Ich schmeckte Magensäure. Cheftu war immer noch nicht aufgetaucht, sonst wäre ich schon längst abgehauen. Zieh das hier durch, heute Nachmittag ist er bestimmt da, dachte ich. Dann konnten wir beide
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