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Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Titel: Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Worte wehten noch einmal über mich hinweg. Für die Stadt war ich verantwortlich. Ich sah nach Süden.
    »Ashqelon liegt dort unten?«
    »Ken.«
    Obwohl meine Beine schlotterten, stieg ich ab. »Wie soll ich in die Stadt kommen, falls sie schon dort sind?«
    Nachdem Wadia mir verraten hatte, wie ich mich in die Stadt schleichen konnte, falls das notwendig werden sollte, fuhr er los in Richtung Ashdod, um neue Truppen zu sammeln. Der Knabe war zum Mann geworden.
    Mir war klar, dass ich nun nicht mehr klammheimlich verschwinden konnte. Abwechselnd auf Takala fluchend und mit Gott hadernd, machte ich mich auf den Weg zum Meer. Bis zum Morgengrauen müsste ich es und damit Ashqelon erreicht haben.
    Immer mehr Sterne besprenkelten den Himmel über mir. Kaum zu glauben, dass dies noch dasselbe Universum war wie heute Morgen. Ich kam mir verändert vor, dabei hatte sich nichts geändert. Die Bäume wuchsen immer noch nach oben, immer noch deckte das Dunkel alles zu, und immer noch vermissten kleine Jungs ihre Mama. Die Last des Tages zwang mich in die Knie.
    Ich hatte eine Schlacht beobachtet. Einen Krieg, in dem Menschen getötet und verstümmelt wurden. Und ich hatte
    nichts unternommen, sondern einfach nur zugesehen.
    Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war, ich wusste nur, dass ich müde war. Todmüde.
    Hatte das Ganze wirklich nicht einmal vierundzwanzig Stunden gedauert? Erst heute Morgen waren wir losgefahren, da hatten wir uns noch wie Sieger gefühlt. O Gott, dachte ich. Doch bist du der Gott der gegnerischen Mannschaft? Heißt das, die Pelesti hatten von Anfang an keine Chance gehabt? Es erschien mir schrecklich gemein, die Karten so ungerecht zu verteilen.
    Diese Männer brachten andere Männer um. Jene Männer, die die Bibel verfasst hatten, mitsamt der Stelle »Du sollst nicht töten«, schlachteten andere Männer ab. »Ich glaube, ich werde Hinduistin«, flüsterte ich.

    5. KAPITEL
    Selbst so weit von Ashqelon entfernt konnte ich die Schreie, das Klirren und Scheppern der primitiven Waffen hören. Die Pelesti und Hochländer kämpften also immer noch?
    Meine Schritte wurden schneller, denn ich musste an Cheftu denken. War er in Sicherheit? War er verletzt? Warum war er nicht in Lakshish aufgetaucht?
    Als ich zwischen den Bäumen hervortrat, sah ich Männer, die sich gegenseitig an die Kehle gingen. Immer noch.
    Dies war der Grund, weshalb der Friedensprozess hier selbst in der Neuzeit einem gordischen Knoten glich, begriff ich.
    Diese Leute hatten in all den Jahrhunderten nie gelernt, miteinander auszukommen. Vielleicht sollten wir einfach abwarten, bis sie sich gegenseitig umgebracht hatten, und dadurch der Geschichte wie auch dem Rest des Planeten eine Menge Ärger ersparen? Ich konnte mich nicht entsinnen, wann mich die Menschheit im Allgemeinen je so angewidert hätte.
    Ich schlich um das Schlachtfeld herum in die tiefer werdenden Schatten im Tal. Das Geschrei der Männer, das Wiehern der Pferde und das unablässige Scheppern von Metall auf Metall gellte mir in den Ohren. Zu tausenden kämpften sie hier inmitten der Überreste ihrer Kameraden. Es war ein gespenstisches Chaos.
    Die schwerterschwingenden Pelesti waren alte Männer mit viel zu schweren Waffen und notdürftig geflickten Rüstungen.
    Das sollte die Verstärkung für jene sein, die in der Schlacht niedergemäht worden waren? Mir sank das Herz in die Hose.
    Von einer Schlachtordnung war nichts mehr zu erkennen. Jetzt hieß es einfach federbuschiger Mann gegen bärtigen Mann. Hinter den Zinnen der Stadtmauern warteten Pelesti darauf, dass die Schlacht näher kam, damit sie ihre Pfeile, Speere und das vorbereitete heiße Öl nutzbringend einsetzen konnten.
    Am Horizont sah ich die Sonne in blutigen Farben über einem blutigen Land aufgehen. Das Licht stahl sich über den Strand und kletterte schnell höher, bis es schließlich die Schatten der sich gegenseitig tötenden Männer auf den Boden legte, in schwarzen und grauen Umrissen auf dem rötlich-braunen Gras. Dann lösten sich die Schatten der Morgendämmerung auf, und auch der Schlachtenlärm, das Schreien und Sterben, nahm allmählich ein Ende.
    In wenigen Stunden würde es keine Pelesti mehr geben. Nicht in Ashqelon. Ich kehrte auf demselben Weg zum Strand zurück, auf dem ich gekommen war, und tappte dann vorsichtig durch die Umfriedung des Heiligen Sees. Die Krokodile sonnten sich schon in der Morgensonne.
    Der Tempel Dagons war leer, denn die männlichen Priester hatten ihren Kopfschmuck

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