Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
einigen?
»Sie kämpfen überhaupt nicht.« Wadias Stimme bebte. Ich brauchte mir die Augen nicht zuzuhalten; ich hörte die Schreie, die Angst, das Entsetzen. Das Klirren von Metall auf Metall, das Brüllen von Männern und Pferden.
»Dagon sei gelobt!«, rief Takala aus. »Wir siegen!«
Ich sah hinunter und zwang mich zuzuschauen. Hatte ich mich in der Geschichte geirrt? Oder hatte sich die Geschichte verändert?
Das Tal war tief, ein Wadi, im Verlauf von Jahrtausenden vom Wasser gegraben, das sich seinen Weg durch die Felsen gesucht hatte. Auf beiden Hängen standen Bäume, und am Fuß des Berges, wo das Tal seinen Ausgang nahm, wuchs ein größerer Wald.
Die Pelesti mit ihren Pferden, Streitwagen, Uniformen und gefiederten Helmen, die sie noch größer wirken ließen, wirkten wie eine richtige Armee. Die Hochländer hingegen sahen aus wie Bauern, denen man vor zehn Minuten ein Schwert in die Hand gedrückt hatte.
Sie wichen zurück, bis die Hälfte von ihnen im Wald verschwunden war, während die andere Hälfte sich zu einer Art Schlachtordnung sammelte. Das Blut dröhnte in meinen Ohren, und die Hand um meine Lanze wurde glitschig. Die Hochländer schienen überrascht, die Pelesti zu sehen, doch auf einen Ruf hin, einen fremdartigen, jammernden Ruf - ein Shofar, wie mir mein Lexikon einflüsterte -, stand jeder Zweite von ihnen auf, während die Übrigen in die Hocke gingen.
Wir hörten ein leises, tiefes Sirren und sahen die Pelesti zu Boden stürzen. Was hatte sie gefällt? Dann sah ich die Pfeile und Speere durch die Luft fliegen. Plötzlich bekamen die grünen Uniformen rote Flecken. Gefiederte Helme rollten über den Boden.
Doch die Hochländer wichen immer noch zurück.
»Wir treiben sie in den Wald hinein«, verkündete Takala erfreut. »Bis zur Abenddämmerung haben wir Den Anderen und
seine Truppen bis nach Mamre getrieben!«
Das Lexikon blendete erneut die Landkarte ein. Mamre war das neuzeitliche Hebron. Keiner der beiden Namen sagte mir etwas. Die Hochländer tauchten in den Wald ein, doch nicht als Gejagte. Sie schlichen sich davon.
»Das ist eine Falle.« Plötzlich ging mir auf, was sie getan hatten. »Hol sie zurück!«, rief ich Takala zu.
»Wir haben so gut wie gewonnen«, erwiderte sie, ohne den Blick auf nur abzuwenden.
Ich packte sie am Arm. »Sie haben uns in einen Hinterhalt gelockt! Hol sie raus! Es ist eine Falle!« Ich wies auf das Schlachtfeld. Die Talsohle war für die wichtigsten pelestischen Waffen, für ihre Pferde und Streitwagen, zu schmal geworden. In ihrem Übereifer hatten sie sich aus der Sicherheitszone herausgewagt.
Ihr Gesicht wurde aschfahl. »Sie können nicht umkehren«, flüsterte sie. »Sie können nicht zurückweichen!«
Die Kämpfe wurden sichtlich intensiver, inzwischen kamen zwei Pelesti auf einen Israeliten. Das Herz schlug mir im Hals, ich überlegte fieberhaft, was ich tun sollte. Hatte ich Recht oder nicht? Der Wald schien leer zu sein, doch er wirkte irgendwie abwartend. Mit einer Hand hielt ich Wadias, in der anderen den Speer, den ich voller Angst in den Boden drückte. Es wurden immer weniger Hochländer. Ein paar von ihnen bleiben tot auf dem Boden liegen. Aber nicht viele. Die Pelesti zogen sich vom Waldrand zurück, dorthin, wo ihre Streitwagen und Pferde festsaßen.
Ein Wind wehte über uns hinweg, ebenjener Wind, von dem Takala gesprochen hatte. Dann hörten wir ein Rascheln in den Bäumen wie von schweren Geschützen, die in Position gebracht werden. Die Soldaten hörten es ebenfalls; und auch den Triumphschrei: »Shaday reitet den Elohim voran!« Laut. Und immer wieder.
In meinem geistigen Lexikon erschienen bei dem Wort Elo-him zahllose, endlose Divisionen von Engelwesen. Keine pausbäckigen Cherubim mit Pfeil und Bogen, sondern Furcht gebietende Erscheinungen mit blutbefleckten Schwertern und einer Flügelspannweite wie ein Pterodaktylus.
»Shaday ist mit den Elohim!«
Plötzlich strömten Hochländer aus den Wäldern und verwandelten dieses Scharmützel in eine ausgewachsene Schlacht. Das Adrenalin schoss mir mit solcher Wucht durch die Adern, dass ich einen Moment lang taub war. Mein Gott, nein. Nein!
Der erste Kopfputz, der zu Boden flog, war jener von Yamir. Takala schrie gellend ihren Schmerz hinaus, während Wadia mit tränenüb er strömten Wangen zusah. Ihr Sohn war tot. Ich war entsetzt; ich hatte diesen Mann gekannt, der jetzt tot war.
Ich wollte mein Gesicht verbergen, ich wollte mich abwenden. Doch das kam mir wie
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